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Das Unternehmen Gasnetz Hamburg GmbH (GNH), das seit dem 1. Januar 2018 wieder vollständig der Stadt Hamburg gehört, will einen großen Teil der in Hamburg mit Erdgas beheizten Gebäude sukzessive auf eine Beheizung mit Wasserstoff umstellen. Dazu soll dem Erdgas im Hamburger Gasverteilungsnetz in den nächsten 25 Jahren immer mehr Wasserstoff beigemischt werden.
Das geht beispielsweise aus dem Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2020 von GNH hervor. Dieser verweist auf eine umfangreiche Stellungnahme der GNH, die das Unternehmen im September 2020 bei der Bundesnetzagentur als Rückmeldung zur „Marktkonsultation zur Regulierung von Wasserstoffnetzen“ einreichte. Darin sprach sich die GNH für eine Neuregelung der Einspeisung in das Erdgasnetz aus.
Ähnliche Stellungnahmen wie die der GNH gaben auch andere Betreiber von Gasverteilnetzen gegenüber der Bundesnetzagentur (BNetzA) ab. Kern ihrer Pläne: die Beimischung von Wasserstoff in ihren Gasverteilungsnetzen. Auf diese Wasserstoff-Einspeisevorhaben wird noch ausführlicher zurückzukommen sein.
Auf PR-Seiten der GNH finden sich Ankündigungen wie diese: „Im Gasnetz fließt schon heute der größte Teil von Hamburgs Energie. Wasserstoff – chemisch H2 genannt – wird das Netz zusammen mit anderen grünen Gasen zum Rückgrat der städtischen Energiewende machen. … Für die Energiewende macht Gasnetz Hamburg das Netz zukunftsfähig, so dass Wasserstoff zunächst beigemischt und in Zukunft vollständig durch die Röhren fließt. In kleinen Evolutionsschritten können Verbraucher dann ihre Gasgeräte für den neuen Brennstoff umrüsten. … So kommt die Energie-Revolution, Schritt für Schritt.“
Breite Ablehnung von Erdgas-Heizungen mit beigemischtem Wasserstoff
Die für Regulierungen zuständige Bundesnetzagentur folgt in ihrer Bestandsaufnahme vielen Vorschlägen der Gasnetzbetreiber nicht. Im Gegensatz zu Gasnetz Hamburg hält der Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz für einen „teuren Irrweg“. Unterm Strich würde damit der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft nicht beschleunigt, sondern verzögert. Längerfristig würde ein Großteil der Gasverteilungsnetze nicht mehr benötigt, so Homann. Verständlich, dass die Gasnetz Hamburg GmbH das nicht gerne liest.
Das Öko-Institut erklärte in einer Überblicksuntersuchung „Wasserstoff sowie wasserstoffbasierte Energieträger und Rohstoffe“ vom 4.9.2020, dass vor allem „der Einsatz von reinem Wasserstoff relevant ist und Beimischungsstrategien zumindest im Bereich der Endanwendungen nicht zukunftsfähig sind. Beimischungen erscheinen allenfalls als Übergangslösungen für den Transport (d.h. mit Ausfilterung am Punkt der Wasserstoffnachfrage) sinnvoll.“
Im Deutschen Aufbau- und Resilienzplan des Bundesministeriums der Finanzen vom Dezember 2020 wurde eine Beimischung von Wasserstoff in bestehende und genutzte Erdgasnetze aus Gründen der Energieeffizienz grundsätzlich ausgeschlossen.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) kam in einer umfangreichen Stellungnahme vom Juni 2021 „Wasserstoff im Klimaschutz: Klasse statt Masse“ ebenfalls zu einem ablehnenden Ergebnis: „Wasserstoff und synthetische Brennstoffe sollten … nicht für die Wärmebereitstellung in Einzelgebäuden eingesetzt werden.“
Bild 1 zeigt einen der Gründe für die Empfehlung des SRU, den sehr großen Effizienzvorteil von Heizungs-Wärmepumpen, die mit Strom angetrieben werden. Mit einem Wasserstoff-Brennwertkessel können nur 64 % des ursprünglich eingesetzten Stroms für die Bereitstellung von Wärme genutzt werden, viel weniger als mit einer Direktstrom- oder Stromspeicherheizung. Der größte Anteil des hohen Arbeitsvermögens (der Exergie) von Strom oder Wasserstoff wird bei der Erzeugung von Niedertemperatur-Wärme durch Verbrennen des Wasserstoffs oder des daraus gewonnenen Methans verschleudert. Dagegen können mit elektrischen Wärmepumpen 260 % bis 460 % des ursprünglich eingesetzten Stroms aus Umweltwärme gewonnen werden. Der Wert hängt davon ab, ob es um Bestandsgebäude oder um Neubauten geht und wo die Umweltwärme hergenommen wird. Elektrische Wärmepumpen sind also vier- bis siebenmal effizienter als Wasserstoff-Brennwertkessel.
Der SRU empfahl, nach der ab 2026 von § 72 (4) des Gebäudeenergiegesetzes 2020 bereits vorgeschriebenen starken Einschränkung neuer Ölheizungen „möglichst zügig ein Einbauverbot von Gasheizungen im Neubau zu beschließen“ (Tz. 340 der SRU-Stellungnahme).
Nach den Vorschlägen des SRU wie in Bild 2 sollte bei einer Orientierung an den Klimazielen des Pariser Klimaabkommens auch im Gebäudebestand schon vor 2030 der Einbau neuer Gasheizungen stark begrenzt werden (Bild 2). Der Erdgasausstieg insbesondere in der Gebäudewärme und die Stilllegung der Gasverteilungsnetze sollten vor 2040 vollendet werden.
Die Gebäudesanierungsrate sollte gemäß SRU so weit erhöht werden, dass der Gebäudebestand bis zum Zieljahr der Treibhausgasneutralität weitgehend saniert ist. Die Wärmebereitstellung sollte dann auf der Basis von erneuerbaren Energien erfolgen, wobei dekarbonisierte Wärmenetze und die Elektrifizierung mit Wärmepumpen eine Schlüsselrolle einnehmen.
Die Folgen für die Gasverteilungsnetze beschreibt das Gutachten „Klimaneutrales Deutschland 2045“ der drei renommierten Beratungsunternehmen Prognos, Öko-Institut und Wuppertal Institut: „Nach 2025 werden … nur noch in Ausnahmefällen neue fossile Wärmeerzeuger eingebaut. … Durch den starken Rückbau der Gasheizungen im Gebäudebereich verteilen sich die Kosten für den Betrieb- und Unterhalt der Gasnetze auf immer weniger Endkunden. Dadurch wird die Nutzung von Gas für die verbleibenden Kunden zunehmend unwirtschaftlich. Es ist zu erwarten, dass der Betrieb der Verteilnetze für Erdgas nicht aufrechterhalten wird, wenn nur noch wenige Kunden bedient werden, sondern dass Netzteile beim Unterschreiten einer Auslastungsschwelle sukzessive stillgelegt werden.“
Die Perspektive Rückbau der Gasverteilungsnetze ist auch Bestandteil einer im November 2019 veröffentlichten Studie der Agentur für Erneuerbare Energien im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen: „Die Gasfernleitungen werden in allen Szenarien weiterhin gebraucht. Sie dienen gleichzeitig als Energiespeicher, um auch längere Zeitspannen mit geringer Stromerzeugung aus Wind und Sonne überbrücken zu können. Die Gasverteilnetze könnten unter der Annahme deutlicher Effizienzsteigerungen im Wärmemarkt sowie eines flächendeckenden Ausbaus von Wärmenetzen, Solarthermie, Nutzung von Biomasse für Wärme, Wärmepumpen und Power-to-Heat-Anwendungen zurückgebaut werden.“
Die Rolle von dunkelgrünem Wasserstoff
Die Rolle von grünem Wasserstoff beschreibt der SRU so: „Die Nutzung von grünem Wasserstoff oder PtX-Folgeprodukten spielt in einigen Bereichen eine wichtige Rolle, um Treibhausgasneutralität zu erreichen. Dazu gehören vor allem die chemische Industrie, die Stahlindustrie sowie der internationale Schiffs- und Flugverkehr. Noch offen ist, ob sich beim Schwerlastverkehr Wasserstoff oder die Elektrifizierung durch Batterien und Oberleitungen durchsetzen wird. Im Stromsystem und in Wärmenetzen sollte Wasserstoff nur eine ergänzende Rolle einnehmen.
Für Gebäudeheizungen und im Pkw-Verkehr ist die Nutzung von Wasserstoff hingegen ineffizient und deutlich teurer als eine direkte Elektrifizierung mittels Wärmepumpen und batterieelektrischen Fahrzeugen.“ (Seite 1 der SRU-Stellungnahme)
Der SRU fordert „dunkelgrünen“ Wasserstoff. Nach Bild 3 ist das grüner Wasserstoff, dessen Herstellung ökologische und soziale Mindeststandards erfüllt: „Bei Importen muss sichergestellt werden, dass die Transformation der Energiesysteme in den Produktionsländern nicht verzögert wird und keine zusätzlichen sozialen Probleme oder Umweltauswirkungen entstehen. Hierfür ist ein Zertifizierungssystem mit anspruchsvollen Nachhaltigkeitskriterien notwendig.“
„Wasserstoff, dessen Herstellung noch genauer zu bestimmende ökologische und soziale Kriterien erfüllt, könnte in Anlehnung an die bisherige Klassifizierung als dunkelgrüner Wasserstoff bezeichnet werden. Unter Verwendung von Biomasse hergestellter Wasserstoff erfüllt die Bedingungen „umweltfreundlich und nachhaltig“ in der Regel nicht und fiele somit nicht unter die Bezeichnung „dunkelgrün“. Die dominante Herstellungsweise dunkelgrünen Wasserstoffs wird stattdessen die mit Wind- oder PV-betriebene Wasser-Elektrolyse sein. Um die Herstellung von dunkelgrünem Wasserstoff zu fördern, sollten zeitnah Nachhaltigkeitskriterien festgelegt und ein Zertifizierungssystem für Wasserstoff geschaffen werden.“
Für die Gasnetz Hamburg GmbH sind
die Unternehmensinteressen wichtiger als die Klimaschutz-Verpflichtungen
Die Gasnetz Hamburg GmbH orientiert sich offenbar ganz überwiegend an den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens und investiert in umfangreiche Werbekampagnen für neue Gasheizungen. Ziel ist in erster Linie ein möglichst lange Nutzung der vorhandenen Infrastruktur.
Mit einem „Klimabonus-Programm“ belohnt GNH seit zwei Jahren Hausbesitzer, die ihre Heizung von Öl auf Gas umstellen, mit über 1.000 Euro. „Damit schaffen wir einen intelligenten finanziellen Anreiz, von Öl auf Gas umzustellen“, so der Aufsichtsratsvorsitzende, der grüne Senator Kerstan. Im August 2020 hatten schon mehr als 2.000 Haushalte der Stadt diese Subvention erhalten. Die neue Gasheizung spare rund ein Viertel der bisherigen CO2-Emissionen ein, die Stickoxidbelastung sinke um 62 Prozent, der Feinstaub sogar um 93 Prozent, so GNH. Die hohe Klimabelastung durch Methan, das auf dem von der Erdgas-Förderung bis zur Verbrennung freigesetzt wird, wird bei diesem Vergleich nicht berücksichtigt.
Volkswirtschaftlich ist die GNH-Kampagne eine schlechte Idee. Da bis spätestens 2045 im gesamten Gebäudesektor Klimaneutralität erreicht werden muss – also in nur 24 Jahren –, wäre nach der Einschätzung des SRU eine vollständige Umstellung von Ölheizungen auf elektrische Heizungs-Wärmepumpen angebracht. Mit neuen Gasheizungen, gefolgt von Anpassungsaufwendungen an Wasserstoff-Anteile im Gasnetz, drohen dagegen gestrandete Investitionen, zumal eine zukünftige Beheizung aus einem vollständig mit Wasserstoff gespeisten Gasnetz sehr unwahrscheinlich ist.
Auf die zeitliche und qualitative Perspektive einer steigenden Beimischung von Wasserstoff ins Hamburger Erdgasnetz wird noch einzugehen sein. Um welche Wasserstoff-Farbe nach Bild 3 wird es gehen? Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der GNH, Thies Hansen, zur Qualität des Wasserstoffs: „Grün, türkis, blau. Das ist für mich eine ideologische Diskussion“. Der langjährige Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell sieht das völlig anders.