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„Hamburg als moderne Metropole und großer Industriestandort in Deutschland muss alles tun, um die Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.“
Ein markanter Satz aus dem Munde des Hamburger Senators für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft, Jens Kerstan. Am 23. Juni 2022 bezog er sich speziell auf „Green Fuels“ – grüne Treibstoffe, die „eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung des Luftverkehrs und der Seeschifffahrt spielen“ sollen. Anlass war die Vorstellung eines Projekts „Green Fuels Hamburg“, in welchem die industrielle Produktion „nachhaltiger Flugkraftstoffe für eine klimaneutrale Luftfahrt“ geplant wird.
Kerstan: „Gerade Hamburg bietet sich vor diesem Hintergrund als besonders geeigneter Standort an – insofern wird das Vorhaben die Transformation der Hamburger Wirtschaft voranbringen und so auch zum Erreichen der Hamburger Klimaziele beitragen.“
Wirtschaftssenator Westhagemann ergänzte: „… eine hervorragende Chance für den Luftfahrtstandort Hamburg auch bei Sustainable Aviation Fuels Impulse zu setzen.“
Halten wir fest:
Kerstan geht es angeblich darum, mit der Produktion nachhaltiger Flugkraftstoffe
- Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und
- Hamburger Klimaziele zu erreichen.
Das Konsortium „Green Fuels Hamburg“
Die Zusammensetzung des Konsortiums „Green Fuels Hamburg“, das am 23. Juni 2022 bei der Luft- und Raumfahrtmesse ILA in Berlin ein Konzept zur Produktion von CO2-neutralem Flugzeug-Treibstoff Kerosin vorstellte, ergibt sich aus dem folgenden Bild.
Der mehrheitlich dem finnischen Konzern Fortum gehörende Kraftwerkskonzern uniper schreibt: „Die vier Projektpartner decken dabei den gesamten Wertschöpfungsprozess zur Herstellung von CO2-neutralem Kerosin, sogenanntem Power-to-Liquid- oder kurz PtL-Kerosin, ab. Unterstützt werden sie von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) als Forschungspartner sowie dem Hamburger Senat (Behörde für Wirtschaft und Innovation und Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft) und dem Flughafen Hamburg. Darüber hinaus hat Emirates Airline ihr Interesse bekundet, an der Nutzung des produzierten PtL-Kerosins beteiligt zu sein.“
Abdeckung des „gesamten Wertschöpfungsprozesses“ – das stimmt nicht ganz, wie das folgende Bild zeigt:
Im Bild ist links unten zu sehen, dass zur Produktion von E-Kerosin auch eine CO2-Quelle gehört. Gebraucht wird eine Quelle für konzentriertes CO2, nicht einfach der Klimaschadstoff CO2, wie er als Spurengas in der Luft in einer für ein stabiles Erdklima zu hohen Konzentration enthalten ist.
Der Produktionsprozess von E-Kerosin
Zur Darstellung des Produktionsprozesses im Bild:
- Mit Strom aus Windenergieanlagen kann durch Elektrolyse Wasserstoff erzeugt werden.
- Aus Abgasen – beispielsweise von Fernwärme-Erzeugungsanlagen in Hamburg – lässt sich CO2 abscheiden.
- Mit CO2 und H2 kann E-Kerosin (oder PtL-Kerosin oder Öko-Kerosin oder Bio-Kerosin oder eSAF) produziert werden.
Woher kommt das CO2 für die Herstellung von E-Kerosin?
Die Wirtschaftsbehörde schreibt in der Pressemeldung vom 23.6.2022: „Im Industriegebiet Billbrook/Rothenburgsort beabsichtigt das Konsortium, eine Elektrolyse-Großanlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff aus Strom von Offshore-Windanlagen zu errichten. Daran gekoppelt wird eine Produktionsanlage für PtL-Kraftstoffe: In einem synthetischen Verfahren (u. a. Fischer-Tropsch-Synthese) wird hierbei aus dem grünen Wasserstoff und aufbereitetem biogenen Kohlendioxid nachhaltiger Flugkraftstoff gewonnen. Das Ergebnis ist CO2-neutrales PtL-Kerosin, das bereits heute zum Einsatz als Flugkraftstoff zertifiziert ist.“
Das Konsortium will demnach seine industriellen Anlagen in Hamburg Billbrook bauen lassen rund um den Verkehrsübungsplatz. Dort also, wo die Stadtreinigung Hamburg in der Borsigstraße Abfall verbrennt – nebenan steht die Abfall-Verwertungs-Gesellschaft (AVG) – und wo das Heizkraftwerk Tiefstack von der Verbrennung von Steinkohle auf die Verbrennung von Holz (und/oder Erdgas) umgerüstet werden soll.
Aus dem biogenen Kohlendioxid und grünem Wasserstoff will „Green Fuels Hamburg“ Kraftstoffe für die Luftfahrt produzieren, in der ersten Ausbaustufe ab 2026 mindestens 10.000 Tonnen „nachhaltiges CO2-neutrales Kerosin“.
Die Müllverbrennungsanlage Borsigstraße (MVB) verbrennt in ihren Linien 1 und 2 weit mehr fossile Abfallstoffe wie Plastik als Biomasse-Abfälle. Das Herausfiltern von richtig „biogenem“ Kohlendioxid wird also eine Herausforderung werden. Oder sollte etwa nur CO2 aus der Altholzverbrennung in der MVB („3. Linie“) genutzt werden?
Wenn erst einmal das Heizkraftwerk Tiefstack auf Holzverbrennung umgestellt ist, vielleicht schon 2028, dann könnte in der nächsten Ausbaustufe noch viel mehr E-Kerosin mit Hilfe von echtem „biogenem“ Kohlendioxid erzeugt werden. Der Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke schwärmte bei der kürzlichen Pressekonferenz zur Vorstellung des „Energieparks Tiefstack“ auch schon von „negativen Emissionen“.
Die würden sich ergeben, wenn das CO2 aus der geplanten „klimaneutralen“ Holzverbrennung in Tiefstack abgeschieden und an das Konsortium „Green Fuels Hamburg“ verkauft werden würde, wo es, gepaart mit Wasserstoff, in E-Kerosin umgewandelt werden würde.
Dass bei der Verbrennung in Flugzeugen dieses CO2 dann sehr bald wieder ausgestoßen werden würde, das steht auf einem anderen Blatt.
Die Produktion von E-Kerosin und der Kohleausstieg in Tiefstack
Für die Umsetzung der Vorhaben von UNIPER, Siemens Energy, Airbus und SASOL EcoFT sind also wertvolle, Hamburg gehörende Flächen um den Verkehrsübungsplatz in Billbrook herum an das Konsortium langzeit-verpachtet worden. Hätte Hamburg diese Flächen für die „Transformation Tiefstack“ zur Verfügung gestellt, dann könnte der Kohleausstieg im Heizkraftwerk Tiefstack schneller und effizienter vollzogen werden. Denn es gibt nur sehr wenig Platz auf der Halbinsel Tiefstack, auf der das HKW Tiefstack und das Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) Tiefstack stehen. Daher kann der Ersatz der Steinkohle nur recht langsam und umständlich „während des laufenden Betriebs“ durchgeführt werden. Und bei Teilanlagen der „Transformation“ wie einem großen Wärmespeicher und einer zugehörigen Tauchsiederanlage (PtH, Power-to-Heat), vielleicht auch der geplanten „kleinen“ Flusswasser-Wärmepumpe, scheint noch gar nicht klar zu sein, wo die stehen sollen.
Was wird die Beimischung von winzigen Anteilen von E-Kerosin bewirken?
Zurück zur Beimischung von „Öko-Kerosin“ zum Flieger-Treibstoff:
Allein in Deutschland werden jährlich rund zehn Millionen Tonnen Kerosin verflogen. Die Bundesregierung hat eine gesetzliche Beimischungs-Quote von zwei Prozent PtL-Kerosin bis 2030 vorgeschrieben. Das entspricht also 200.000 Tonnen. Noch viel Luft nach oben für das Konsortium „Green Fuels Hamburg“ mit seinen 10.000 Tonnen ab 2026.
Die EU plant mit ihrem „Fit-for-55“-Klimapaket eine verpflichtende Quote von zwei Prozent schon ab 2025 und nicht erst ab 2030. Daher wird jetzt sogar der Einsatz von Speisefett erwogen.
Wie soll es nach 2025 weitergehen? Bis 2050 sollen nach Planungen der EU-Kommission erst 63 Prozent PtL-Kerosin beigemischt werden. Das Paket ist noch nicht beschlossen. Manche Abgeordnete wollen sogar 100 Prozent bis 2050.
Nun wird aber gar nicht so selten von Fachleuten eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass auch bei ausschließlich „grünen“ Flugkraftstoffen von einem „klimaneutralen Luftverkehr“ bei weitem nicht die Rede sein kann. Von den gegenwärtigen Klimaschäden des Fliegens würden wegen der Bildung von Kondensstreifen aus Wasserdampf dann nämlich immer noch zwei Drittel bleiben. Eine unangenehme Wahrheit, die anscheinend immer schnell unter den Teppich gekehrt wird.
Gegenwärtig wird der Hamburger Flughafen wie andernorts überrannt. Auch wenn sich dieser Ansturm erst einmal beruhigt haben wird und die Bahn bessere Angebote für den Reiseverkehr machen sollte, lassen sich folgende Effekte voraussehen:
Die für lange Zeit winzige Beimischung von „grünem“ Kerosin ist klimapolitisch ein Tropfen auf den heißen Stein. Dennoch werden sich auch auf Grund der vor allem vom BUND Hamburg angeprangerten, einem Lobby-Verband übertragenen Zertifizierung des Hamburger Flughafens als „CO2-neutral“ weiterhin viele Menschen für das Fliegen anstelle von anderen klimaschonenderen Reisemöglichkeiten entscheiden.
„Der Flugverkehr genießt in Hamburg das große klimapolitische Privileg der Unantastbarkeit“, schreibt der BUND. „In der Rangliste der klimaschädlichsten deutschen Flughäfen ist der Hamburger Flughafen auf Platz 5 gelistet.“
Von der Verlärmung und von gesundheitsschädlichen Emissionen durch den Flugverkehr ist dabei noch gar keine Rede.
Es klingt daher wie Hohn, wenn Umweltsenator Kerstan erklärt, bei der Produktion „nachhaltiger Flugkraftstoffe für eine klimaneutrale Luftfahrt“ gehe es darum,
- Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und
- Hamburger Klimaziele zu erreichen.
In Frankreich sind wenigstens schon Inlandsflüge verboten, wenn eine alternative Zugverbindung mit einer Dauer von höchstens zweieinhalb Stunden existiert. Warum greift man dort nicht so schnell zum E-Kerosin?
Grüner Wasserstoff wird viel dringender zur Dekarbonisierung von Industriebetrieben im Hamburger Hafen gebraucht. Die Dekarbonisierung der Luftfahrt lässt sich viel schneller durch eine Reduzierung des Fliegens erreichen als durch symbolische Beimischungen von E-Kerosin.