Hier als pdf-Datei
Möglichst im Jahr 2028, spätestens 2030, soll der Ausstieg aus der Kohle im Hamburger Heizkraftwerk (HKW) Tiefstack erfolgen. So Senator Kerstan (BUKEA) und der Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke (HEnW) Christian Heine bei einer Pressekonferenz am 17. Juni 2022.
Nach dem Ersatz des HKW Wedel mit Hilfe des „Energieparks Hafen“ und nach der Fertigstellung des „Energieparks Tiefstack“ (Bild aus einer Präsentation der HEnW am 17.6.2022) würden die CO2-Emissionen der zentralen Hamburger Stadtwärmeversorgung gegenüber heute um 70 bis 80 Prozent sinken. Die Hamburger Energiewerke würden mit dem Energiepark Hafen und dem Energiepark Tiefstack den größten Einzelbeitrag zum Erreichen von Hamburgs Klimaziele leisten, so Kerstan und Heine.
Wann aber wird der „Energiepark Tiefstack“ fertiggestellt sein?
Die Berichterstattung der Medien erweckte den Eindruck, der „Energiepark Tiefstack“ werde zusammen mit dem Kohle-Ausstieg im Jahr 2028 fertig werden, spätestens aber 2030. So schreibt zum Beispiel die taz: „Bis alles umgesetzt ist, was Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Freitagvormittag verkündete, wird es zwar noch mindestens sechs, vielleicht sogar acht Jahre dauern.“ Ein großer Irrtum, zu dem die Pressekonferenz sicher bewusst beigetragen hat!
Aus Protokollen des „Begleitprozesses Tiefstack“ wie dem vom 23.11.2021 geht klar hervor, dass der „Energiepark Tiefstack“ nach einem Konzept mit drei Phasen erst um das Jahr 2035 fertig werden soll – frühestens.
In der ersten Phase, die 2028 bis 2030 abgeschlossen sein soll, soll das HKW Tiefstack während des laufenden Betriebs umgerüstet werden. Anstelle von Kohle soll von da ab Holz und Erdgas verfeuert werden in einem ähnlichen energetischen Umfang wie jetzt Kohle.
Erst deutlich nach 2030 sollen Flusswasser-Wärmepumpen in der Bille und in der Norderelbe einen größeren Teil der Wärme aus Tiefstack liefern. Ihre Installation soll nämlich erst in den Phasen 2 und 3 vorgenommen werden. Die kleinere Wärmepumpe Bille mit etwa 60 MW könnte zu Anfang der 30-er Jahre verfügbar sein. Eine Inbetriebnahme der großen Wärmepumpe mit etwa 170 MW wird wohl erst für 2035 oder später vorgesehen.
Der „Energiepark Tiefstack“ soll also erst in 13 Jahren – ab dem Jahr 2035 oder später – den Hamburger Osten mit „überwiegend klimaneutraler Wärme“ versorgen. Im Zeitraum zwischen 2022 und 2035 werden die CO2-Emissionen des HKW Tiefstack leider nur wenig abnehmen. Denn bei der Verfeuerung von Holz anstelle von Steinkohle wird sogar mehr CO2 freigesetzt werden. Erdgas wird über LNG-Terminals importiert werden und dieses Gas schleppt einen Riesen-Treibhausgas-Rucksack vom Fracking-Methan bis zur ganzen Gefrier-Transportkette mit sich. Und schließlich: Der Umfang der Fernwärmeversorgung soll erheblich ansteigen.
Nach dem Entwurf der „Richtlinie für die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)“ ist von der Bundesregierung vorgesehen, nicht nur die Investitionskosten von Wärmepumpen in Wärmenetzen zu subventionieren, sondern auch einen großen Anteil der Betriebskosten, der Kosten für den Strom zum Antrieb der Wärmepumpen. Diese ungewöhnlich hohe Förderung macht die Nutzung von Wärmepumpen im Konzept des „Energieparks Tiefstack“ wirtschaftlich attraktiv.
Ob aber eine ähnlich hohe Förderung für große Flusswasser-Wärmepumpen auch noch im Jahr 2035 zur Verfügung stehen wird, ist zweifelhaft. Was dann? Dann erlaubt das umgerüstete HKW Tiefstack eine einfache Fortsetzung der Verbrennung von Holz und/oder Erdgas in großem Umfang!
Weiterlesen: HKW Tiefstack – CO2-Schleuder für mindestens 13 weitere JahreTatsachen, die die BUKEA und die HEnW gar nicht gerne hören
1. Biomasse wird als Brennstoff von den HEnW und der BUKEA als Treibhausgas-neutral bewertet (siehe folgendes Bild nach Seite 7 der Präsentation der HEnW).
Die Klimakrise lässt sich aber durch Bilanzierungstricks nicht beeindrucken. Wer kann denn dem Erdklimasystem erfolgreich erklären, dass die CO2-Emissionen aus dem Schornstein des HKW Tiefstack langsam im Laufe von vielen Jahrzehnten durch nachwachsende Bäume wieder kompensiert werden sollen?
Das Gleiche gilt übrigens für die gewaltigen CO2-Emissionen der Müllverbrennung in Hamburg. Auch die Wärme aus der Müllverbrennung wird von der Umweltbehörde BUKEA und von den HEnW als klimaneutral bewertet, sogar für den nicht-biogenen Teil des Abfalls! BUKEA und HEnW stützen sich dabei fatalerweise auf Vorschläge des Lobbyverbands AGFW.
2. Von den gesamten CO2-Emissionen der Verbrennung von Steinkohle oder Holz im HKW Tiefstack wird nur etwa ein Drittel der Fernwärme zugerechnet. Etwa zwei Drittel betreffen die simultane Stromerzeugung und die Energieverluste. Würde die Kraftwärme-Kopplungs-Anlage ganz stillgelegt, dann würden auch diese CO2-Emissionen wegfallen. Hamburg schert sich wenig darum, weil statistisch die CO2-Emissionen der Stromerzeugung in Hamburg allen Verbrauchern in der BRD zugerechnet werden und nicht allein den Verursachern in Hamburg.
Christian Maaß, Leiter der Abteilung für „Energiepolitik – Wärme und Effizienz“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) am 29. 4. 2022: „Auch in den Wärmenetzen soll die Wärmepumpe eine zentrale Rolle einnehmen und die heute häufig genutzte Kraftwärmekopplung ablösen.“
3. Im „Energiepark Hafen“ soll das auf Holz und Erdgas umgerüstete HKW Tiefstack laut HEnW nur in einem sehr begrenzten Umfang eingesetzt werden: „Zur Absicherung der Wärmeversorgung in Spitzenlastzeiten wird das bestehende Heizkraftwerk Tiefstack auf den wahlweisen Einsatz von Erdgas oder nachhaltiger Biomasse aus Rest- und Schadholz umgestellt.“
Senator Kerstan sprach in Hamburg 1 AKTUELL sogar von einem Einsatz nur an „sehr, sehr kalten Wintertagen.“ Er vergaß zu erwähnen, dass das bestenfalls für den fertigen Energiepark Tiefstack ab 2035 gilt. Bis dahin sollen Holz und Erdgas nach der Beendigung des Kohleausstiegs in großen Mengen im umgerüsteten Heizkraftwerk eingesetzt werden.
In SAT 1 Regional sprach Kerstan von der ausschließlichen Verbrennung von „Bruch- und Restholz, das für gar keine anderen wirtschaftlichen Prozesse mehr zur Verfügung steht“. Da muss ihm heftig widersprochen werden. Bruch und Restholz können sehr wohl in der Bau-, Papier- und Chemiewirtschaft wirtschaftlich verwertet werden. Der Bedarf wächst stark. Erst am Ende einer Kaskadennutzung, auf die das Umweltbundsamt großen Wert legt, kommt eine Verbrennung von nicht weiter verwendbaren Abfallstoffen in Frage. Die aber übernehmen die Hamburger Müllverbrennungsanlagen ohnehin besser als ein umgerüstetes HKW Tiefstack.
Auch für die Zeit nach 2035 ist Kerstans Beteuerungen nicht zu trauen. Die Emissionsgrafik aus der Präsentation der HEnW soll offenbar besagen, dass durch den Energiepark Tiefstack die jährlichen CO2-Emissionen von 640.000 t auf 200.000 t bei Biomasse-Verbrennung bzw. auf 300.000 t bei Erdgas-Verbrennung gesenkt würden.
Würde das auf Holz und Erdgas umgerüstete Heizkraftwerk nur an besonders kalten Tagen eingesetzt werden, dann ergäbe sich kein so großer Unterschied in der CO2-Bilanz wie in diesem Bild.
Die taz berichtete nach der Pressekonferenz: Ohne das Verbrennen von Biomasse sei die Versorgungssicherheit aber nicht zu gewährleisten. „Ohne Biomasse geht`s nicht“, sagte Kerstan – oder alternativ Erdgas. Rund 25 Prozent dürfte der Anteil dieser klimaschädlichen Erzeugung dann betragen. Nur Buschholz aus Namibia sei – zumindest vorerst – vom Tisch.
Warum muss die Realisierung des vollständigen „Energieparks Tiefstack“
so lange dauern?
Es gibt nicht nur die gesetzliche Verpflichtung zum Ausstieg Hamburgs aus der Kohleverbrennung bis 2030, sondern es gibt auch das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021, das eine Verschiebung von Emissionsreduzierungen auf nachfolgende Generationen verbietet.
Das BVerfG hatte sich in diesem Urteil auf Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) zu dem für Deutschland verbleibenden CO2-Emissions-Budgets gestützt. Der SRU hat gerade eine Aktualisierung dieser Berechnungen vorgenommen. Daraus geht hervor, dass Deutschland schon 2031 klimaneutral sein muss.
Hamburg sollte seinen Beitrag dazu leisten, indem es dem Klimaschutz Priorität vor der Wirtschaftlichkeit der „Transformation Tiefstack“ einräumt.