Der Hamburger Energietisch

Für die Energiewende in Hamburg

LNG-Terminals an der deutschen Nordseeküste werden nicht gebraucht

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Nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 kündigte Bundeskanzler Scholz am 27. Februar 2022 in einer Regierungserklärung an, in Brunsbüttel und in Wilhelmshaven sollten mit Unterstützung der Bundesregierung schnell Terminals für den Import von Flüssigerdgas (LNG) gebaut werden. Seither meldet sich fast jede Woche ein neues LNG-Terminal-Projekt, das ebenfalls auf staatliche finanzielle Unterstützung hofft.

Am 25. März 2022 veröffentlichte das Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK) einen „Fortschrittsbericht Energiesicherheit“. Die Einschätzung der Medien reichte von „Weniger Abhängigkeit von Russland“ bis zu „Habeck: Deutschland kann bis Sommer 2024 unabhängig von russischen Energie-Importen sein“.

Aus einer genaueren Analyse des „Fortschrittberichts“ geht hervor, dass der Bau von Land-Terminals für den Import von LNG in Brunsbüttel, Rostock, Stade und Wilhelmshaven gar nicht nötig ist, um die „Energieabhängigkeit von Russland in hohem Tempo zu verringern und die Energieversorgung auf eine breitere Basis zu stellen.“

Nach dem „Fortschrittbericht“ stünde das LNG-Terminal Brunsbüttel, das sich mit einer Kapazität von 8 Mrd. m³ Gas pro Jahr in Planungsprozessen befindet, erst ab 2026 für die Versorgung bereit. Bei den geplanten LNG-Terminals an Land in Stade, Wilhelmshaven und Rostock wird es kaum schneller gehen.

Bild 1: Reduzierung der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas. Erläuterungen im Text.

Nach dem „Fortschrittsbericht Energiesicherheit“ könnte aber schon bis zum Sommer 2024  „in einem gemeinsamen Kraftakt“ eine weitgehende Unabhängigkeit von russischem Gas erreicht werden. Die restliche Abhängigkeit von russischem Gas soll sich bis zu diesem Zeitpunkt auf nur noch 10 % des deutschen Gasverbrauchs reduzieren lassen.

Anstelle von Terminals an Land sieht das BMWK die Anmietung von drei schwimmenden Speicher- und Wiederverdampfungseinheiten (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) vor, mit deren Hilfe verflüssigtes Erdgas (LNG) von Transportschiffen übernommen, gespeichert und wieder in Gasform umgewandelt werden kann. Jedes von ihnen soll eine Importkapazität von 9 Mrd. m³ Gas haben.

Bis zum Sommer 2024 würden damit rund 27 Mrd. m³ Gas pro Jahr importiert werden. Bereits zum Winter 2022/2023 könnten 7,5 Mrd. m³ Gas dem Markt zusätzlich zur Verfügung stehen.

Entsprechend Bild 1 wurden nach dem Fortschrittsbericht des BMWK im Jahr 2021 von Deutschland noch 46 Mrd. m³ Gas aus Russland bezogen.

Nach Abzug von 27 Mrd. m³ Gas pro Jahr, das mit Hilfe von schwimmenden Plattformen importiert wird, bleiben im Sommer 2024 noch 19 Mrd. m³ Gas von dem 2021 aus Russland bezogenen Gas.

Davon könnten 10 Mrd. m³ Gas bis 2024 eingespart werden – keine Kleinigkeit. Laut Berechnungen von Agora Energiewende könnte Deutschland bis 2027 seinen Gasbedarf um ein Fünftel, nämlich um etwa 20 Mrd. m³ Gas, senken. Dabei könnte es wichtige Fortschritte beim Klimaschutz erzielen. Wenn für das Jahr 2024 die Hälfte davon angesetzt wird, bleiben 9 Mrd. m³ Gas, die in diesem Jahr noch aus Russland bezogen werden würden.

Dieses Restvolumen entspricht ziemlich genau den 10 % des deutschen Gasverbrauchs, auf die nach dem Bericht des BMWK bis zum Sommer 2024 die Abhängigkeit von russischem Gas reduziert werden soll. Denn Deutschland verbrauchte im Jahr 2020 insgesamt 871 TWh (Hu) Erdgas, wovon 94 Prozent importiert wurden.

Schwimmende LNG-Terminals

Schwimmende LNG-Terminals (FRSU) sind in der Regel kostengünstiger und schneller realisierbar als Landterminals. Die Energiekonzerne RWE und Uniper sollen sich im Auftrag der Bundesregierung bereits eine Option auf drei FSRU gesichert haben. Das griechische Unternehmen Dynagas und eine norwegische Tochtergesellschaft von Hoegh werden als Lieferfirmen genannt.

Es gibt derzeit nur wenige freie Schiffe dieser Art. Im Prinzip  kann auch der Einsatz von Schiffen vorgesehen werden, die sich kurz vor der Fertigstellung befinden. In ganz Europa soll zurzeit insgesamt ein zusätzlicher Bedarf von mindestens sechs schwimmenden LNG-Terminals bestehen.

Gegenüber stationären LNG-Terminals an der norddeutschen Küste haben gemietete FRSU den Vorteil, dass für sie keine Investitionen mit einer langfristigen Bindung von 20 bis 25 Jahren wie bei LNG-Terminals an Land nötig sind. Werden sie nicht mehr gebraucht, so können sie von anderen Interessenten gemietet werden.

Auch für die Nutzung schwimmender LNG-Terminals sind allerdings wie für LNG-Terminals an Land rechtliche und technische Voraussetzungen zu schaffen insbesondere Genehmigungen auch für den Bau von Anschluss-Pipelines.

Im Tiefwasserhafen Wilhelmshaven, wo zwei schwimmende LNG-Terminals geplant sind, müsste eine 30 km lange Pipeline verlegt werden, die 4 km nördlich des JadeWeserPorts (JWP) beginnt. Spätestens im Herbst 2023 könnte vier Kilometer südlich des JWP beim Öltanker-Terminal eine zweite schwimmende Anlandestation entstehen, die durch eine Querspange mit der neuen Pipeline verbunden werden könnte. Die schwimmenden LNG-Terminals würden allerdings in direkter Nachbarschaft zum Nationalpark Wattenmeer und zu mehreren Vogelschutzgebieten verankert. Die an Land führende Gasleitung würde ein schützenswertes Unterwasser-Biotop kreuzen.

Auch Hamburg-Moorburg wird nach einem ndr-Bericht vom 26. März 2022 als geeigneter Standort für ein FSRU genannt. Die Hamburger Umweltbehörde prüft „in enger Abstimmung mit dem BMWK, den Hamburger Energiewerken, mit Gasnetz Hamburg und der Hamburg Port Authority, ob und wie ein solches zu charterndes Gas-Terminal kurzfristig in Hamburg eingesetzt werden könnte.“ Die Leitungsbaumaßnahmen könnten in Hamburg vergleichsweise gering ausfallen, vermutet die Umweltbehörde. Die nötigen Genehmigungen, Planfeststellungsverfahren mit wasser- und immissionsschutzrechtlicher Prüfung, stehen allerdings in allen Fällen noch aus.

Innerhalb der CDU/CSU wird ein Krisensonderplanungsrecht gefordert

Die Mittelstandsunion (MIT) in der CDU/CSU fordert bereits ein zeitlich befristetes „Krisensonderplanungsrecht“ für den schnelleren Bau von LNG-Terminals und von anderer kritischer Infrastruktur für den Energieimport. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen damit von mehreren Jahren auf weniger als ein Jahr verkürzt werden.

Auf EU-Ebene soll eine Initiative für eine zeitlich begrenzte Ausnahme von der Umweltverträglichkeitsprüfungs-Pflicht für Großprojekte der Energieunabhängigkeit gestartet werden.

„Die Vorgaben für Umweltverträglichkeitsprüfungen sollen vorübergehend eingeschränkt werden, damit europaweit deutlich schneller die Energieunabhängigkeit von Russland beseitigt werden kann.“, heißt es in dem MIT-Beschluss. Gemeint ist wohl die Energieabhängigkeit! Der Bau von Hafenanlagen wie in  Wilhelmshaven und Brunsbüttel soll per Gesetz beschlossen und die Verfahren „auf das absolute Minimum“ reduziert werden. Auch Windräder, Stromnetze und Verkehrswege sollen so deutlich schneller fertiggestellt werden.

Auch das Verbandsklagerecht will die MIT einschränken. Denn die Einführung des umfassenden Verbandsklagerechts habe zu erheblichen Verzögerungen von Gerichtsverfahren gerade bei großen Bauprojekten geführt.

Woher soll ein schneller Ersatz für russisches Erdgas kommen?

Die gegenwärtig äußerst hohen Erdgaspreise hängen nicht nur mit dem Ukrainekrieg zusammen, sondern auch damit, dass das Angebot die Nachfrage zurzeit nicht decken kann.

Bei den Reisen von Minister Habeck zu wichtigen Erdgasproduzenten hat sich gezeigt, dass kurzfristige zusätzliche Lieferungen nur schwer zu erhalten sind.

Erhoffte höhere Erdgasbezüge aus Norwegen, den Niederlanden, Algerien und Aserbaidschan wurden bereits im Ausgangswert des Erdgasbezugs aus Russland berücksichtigt (40 % statt 55 % des deutschen Erdgasverbrauchs, entsprechend 46 Mrd. m³ in Bild 1).

Nach Bild 1 wären 36 Mrd. m³ Gas pro Jahr, die bisher aus Russland bezogen wurden, bis Sommer 2024 zu ersetzen.

Katar sieht keine Möglichkeiten, rasch Flüssigerdgas zu liefern. Das Land wünscht langfristige LNG-Abnahme, die aus deutscher Sicht den Klimaschutzzielen widersprechen würde. Außerdem gelten Erdgas-Lieferungen aus Katar als hochproblematisch.

Die EU-Kommission und die USA haben angekündigt, die USA würden noch in diesem Jahr 15 Mrd. m³ Flüssigerdgas liefern. „Langfristig“ könnte diese Menge sogar auf 50 Mrd. m³ pro Jahr steigen. Allerdings für die gesamte EU! Diese bezog bisher 155 Mrd. m³ Erdgas aus Russland. Der rein rechnerisch der BRD zustehende Anteil an den Mehrlieferungen der USA reicht also nicht gerade weit. Erhöhungen sind schwierig und die bisherigen Ankündigungen sind vage.

Nigeria bietet der EU an, russisches Erdgas zu ersetzen, so berichtet das Magazin EURACTIV. Das Angebot war mit der Aufforderung verbunden, dass die EU „ihre Öl- und Gasunternehmen wie Shell, Eni und Total Energies“ ermutigt, ihre Investitionen in den nigerianischen Gassektor zu erhöhen. Das Land liefert gegenwärtig etwa 90 Prozent seiner Gasexporte nach China.

In Europa werden nicht wenige neue LNG-Terminals geplant: Frankreich und Spanien wollen ihre bestehenden LNG-Terminals um fünf Anlagen erweitern. Irland will drei, Estland zwei, Kroatien, Finnland, Dänemark, Polen, die Ukraine, Malta und das Vereinigte Königreich wollen jeweils ein LNG-Terminal bauen.

Neue LNG-Infrastrukturen, für die langfristige Investitionen notwendig sind, stehen in Widerspruch zu einem schnellen Übergang auf grünen Wasserstoff.

Es wird also nicht leicht mit dem schnellen Ersatz von russischem Erdgas. Dass schwimmende Terminals eine bessere Wahl sind als LNG-Terminals an Land und dass die von Kanzler Scholz angekündigten Land-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven gar nicht gebraucht werden,  ist aber sehr naheliegend.

Besser als LNG-Terminals wären
Terminals zur Anlandung von Wasserstoff und dessen Derivaten

Anstelle von teuren LNG-Terminals an Land sollten also gleich Terminals für den Import von grünem Wasserstoff und dessen Derivaten wie Ammoniak geplant und gebaut werden.

Denn nach dem „Fortschrittsbericht“ des BMWK setzt die geplante Diversifizierung des Gasimports neben Gas-Einsparungen zwingend den schnelleren Hochlauf von Wasserstoff sowie den massiven Ausbau der Erneuerbaren voraus.

Dass alle niedersächsischen Projekte mit der Eigenschaft „Green-Gas-ready“ errichtet werden würden, wie der niedersächsische Umweltminister Lies betont, ist nicht viel mehr als ein Werbespruch, der gegenwärtig auch bei jedem neuen Erdgaskraftwerk verwendet wird und von dem wenig zu erwarten ist.

Der Klimaschutz bleibt auf der Strecke

Als Folge des russischen Angriffskriegs sind nun massive Schäden für den Klimaschutz zu befürchten. Susanne Götze hat am 25. März beschrieben, warum nicht zuletzt U.S.-Präsident Biden in Folge dieser Entwicklung seine Klimaversprechen bricht.

Das Fracking-Erdgas aus den USA, das nun voraussichtlich in noch größeren Mengen nach Europa importiert werden wird als schon bisher, ist besonders klimaschädlich. Nach der neuesten Analyse von Steffen Bukold wird zwar bei russischem Pipeline-Erdgas im Durchschnitt ähnlich viel äußerst klimaschädliches Methan emittiert wie bei Fracking-Erdgas aus den USA. Beim LNG kommen aber die beträchtlichen Energieverluste durch die Verflüssigung, den Schiffstransport und die Rückführung in den Gaszustand hinzu.

Kurzsichtig, skandalös und klimaschädlich: Der Deal zwischen der EU-Kommission und dem Weißen Haus zur Lieferung von LNG aus den USA stößt auf harsche Kritik.

Versprechen der EU-Kommission, Anstrengungen zu  „unternehmen, um die Treibhausgasintensität aller neuen LNG-Infrastrukturen und der mit diesen verbundenen Pipelines zu verringern, unter anderem durch die Nutzung sauberer Energie für den Betrieb vor Ort, die Verringerung von Methanleckagen und den Bau einer sauberen und erneuerbaren wasserstoffbereiten Infrastruktur“ dürften in der harten Realität kaum Wirkungen entfalten.

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