Drei Tage vor der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 und einen Tag vor der großen Demonstration von Fridays for Future in Hamburg überraschte der Erste Bürgermeister Tschentscher mit einem Plan für einen schnelleren Ausstieg des Kraftwerks Moorburg aus der Kohle.
(NDR-Video und SAT.1-Video von einer Pressekonferenz am 20.2.2020.)
Bürgermeister Tschentscher: „Unser Wirtschaftssenator hat in den letzten Monaten an einer Idee gearbeitet, die dazu führen kann, dass wir Moorburg sehr viel schneller als Kohlekraftwerk vom Netz nehmen, um an dieser Stelle etwas sehr Innovatives zu tun, nämlich eine Wasserstoff-Produktionsanlage mit grünem Strom zu errichten.“
Ein Kohle-Block des Kraftwerks Moorburg mit einer elektrischen Leistung von 800 MW soll stillgelegt, der andere mit ebenfalls 800 MW auf Gas umgerüstet werden. „Wir wollen mit dem Betreiber Vattenfall darüber sprechen, in Moorburg so bald wie möglich aus der Kohle auszusteigen“, sagte Tschentscher. Die CO2-Emissionen des Kraftwerks Moorburg würden so auf einen Schlag halbiert, so Tschentscher dem NDR zufolge.
Nach einem Bericht der Harburger SPD ließ Tschentcher offen, ob das neue Kraftwerk sowie die Wasserstoffproduktion privat betrieben werden sollen oder ob städtische Unternehmen wie Hamburg Energie mit einspringen könnten. „Wir drängen uns nicht“, sagte er, schloss eine unternehmerische Beteiligung der Stadt aber auch nicht aus.
Wirtschaftsenator Westhagemann: „Natürlich müsste man einen Umbau vornehmen. Also das heißt, die Turbine muss ersetzt werden, der Kessel muss ersetzt werden, aber alles, was drum rum ist, die Dampfaggregate, die ich dort habe, das bleibt alles bestehen. Das heißt, ein Teil der Infrastruktur bleibt vorhanden.“
Vattenfall schrieb dazu in einer Pressemeldung vom 20.2.2020: „Das Hamburger Kraftwerk Moorburg ist das letzte kohlegefeuerte Kraftwerk von Vattenfall ohne Fernwärmeauskopplung und passt langfristig nicht zu unserem Unternehmensziel. Aus diesem Grund haben wir schon vor einiger Zeit einen Prozess eingeleitet, um Lösungen zu finden, die zu unserer strategischen Ausrichtung der Dekarbonisierung passen. Neben einem Brennstoffwechsel kann auch unter anderem eine Veräußerung als Option nicht ausgeschlossen werden.“
Die Pressemeldung geht danach ausführlich auf die Perspektiven von Wasserstoff in Hamburg ein und preist die Erfahrungen von Vattenfall mit dieser Technologie: „Auch in Berlin beabsichtigen wir, Wasserstoff als Brennstoff auf unserem Weg in eine fossilfreie Wärmeversorgung einzusetzen. Und in Hamburg planen wir schon länger unsere Wasserstoffaktivitäten mit dem Fokus auf Industrie und Transport auszuweiten. … Darüber und zur Frage, ob und wie der Standort Moorburg für eine klimafreundliche Energieversorgung umgebaut werden kann, sprechen wir sehr gerne mit den Regierungen von Hamburg und der Bundesrepublik.“
Zeitgleich mit der Pressekonferenz Tschentschers wurde bekannt, dass Vattenfall der Stadt durch einen Verkauf seiner Mehrheitsanteile an der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) entgegengekommen ist. Über diesen Verkauf zwischen der Stadtreinigung Hamburg und Vattenfall war seit Jahren verhandelt worden, ohne dass bisher Fortschritte zu erkennen waren. Nähere Einzelheiten sollen erst später veröffentlich werden.
Reaktionen
Die Hamburger Grünen, die bisher die Energie- und Umweltbehörde (BUE) führen und daher im Senat für die Energiepolitik Hamburgs zuständig sind, zeigten sich von den Plänen Tschentschers (SPD) überrascht. Umweltsenator Kerstan im NDR-Video: „In allen Gesprächen von Vattenfall mit uns als Umweltbehörde hat Vattenfall die Umrüstung von Moorburg auf Erdgas als völlig unwirtschaftlich und illusorisch dargestellt.“
Das Hamburger Abendblatt vom 2. März 2020 sprach den SPD-Fraktionsvorsitzenden Kienscherf darauf an, dass Bürgermeister Tschentscher kurz vor der Wahl die Idee geäußert habe, das Kohlekraftwerk Moorburg früher als geplant abzuschalten und dort Wasserstoff zu erzeugen. „Dieses Vorhaben würde wahrscheinlich einige Milliarden Euro kosten. Die Grünen haben große Zweifel daran, dass es so funktionieren kann, wie Tschentscher sich das vorstellt.“ Kienscherf darauf (nach der Wahl): „Dann wird die SPD die Grünen überzeugen müssen (lacht). Ich bin mir aber sicher, dass auch die Grünen am Ende akzeptieren können, dass dieser SPD-Plan funktionieren wird.“
Der BUND Hamburg nahm Bürgermeister Tschentscher beim Wort: „Der alte und voraussichtlich neue Bürgermeister Peter Tschentscher hat noch kurz vor der Wahl das Aus der Kohle im Kraftwerk Moorburg ins Spiel gebracht. Jetzt muss er liefern und zeigen, wie das gehen kann.“
Die CDU nannte den SPD-Vorschlag ein Plagiat. Die Umrüstung des Kohlekraftwerks Moorburg auf Gas sei Bestandteil des 50-Punkte-Plans der CDU-Bürgerschaftsfraktion für Umwelt- und Klimaschutz, der bereits Anfang Dezember 2019 im CDU-Klimaplan vorgelegt wurde. Da sie das Kraftwerk Moorburg gerne an das Hamburger Fernwärmenetz anschließen würde, schlug sie vor, entweder einen Block auf Biomasse umzustellen oder das ganze Kraftwerk auf Gas. Das würde zwar zu hohen Investitionskosten führen, dürfte aber insgesamt sinnvoller und günstiger sein als wenige Kilometer entfernt ein vollständig neues Gaskraftwerk zu errichten, so die CDU.
Auch die FDP wies darauf hin, dass durch die Umrüstung Moorburgs auf Gas die Notwendigkeit entfalle, ein weiteres Gaskraftwerk für die Fernwärme auf der Dradenau zu errichten. Dieses „Sinnlos-Kraftwerk“ müsse dringend gestoppt werden.
Gigantische CO2-Emissionen
„Größtes Mahnmal ignoranter Energiepolitik Norddeutschlands“ nannte der BUND Hamburg das Kraftwerk Moorburg, in das 2,8 Mrd. € investiert wurden und das gigantische sechs bis acht Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ausstößt. 6,26 Mio. Tonnen CO2 gab das Fraunhofer ISE für das Jahr 2018 an (Bild). Der BUND ist gegen einen Verkauf, da sich Vattenfall damit aus der Verantwortung stehlen wolle.
Umrüstung des Kraftwerks Moorburg auf Gas oder Biomasse?
Die Umrüstungs-Vorschläge sind bisher nicht ausgegoren oder sogar unsinnig. Eine Biomasse-Verfeuerung in einem Kraftwerksblock mit einer elektrischen Leistung von fast 800 MW könnte nur mit weiträumig herangeschaffter Biomasse vom Weltmarkt realisiert werden. Von Nachhaltigkeit könnte dabei keine Rede sein. Ein im Zentrum für Ressourcen und Energie im Stellinger Moor in Planung befindliches Biomasse-Heizkraftwerk hat gerade einmal eine Leistung von 30 MW.
Das von Vattenfall selbst in Kooperation mit der Hamburger Umweltbehörde als Ersatz für das Kohle-HKW Wedel vorgeschlagene Gaskraftwerk, das die Hamburg Wärme GmbH in der Dradenau plant, nutzt den Brennstoff Gas effizienter, als das bei einem mit viel Geld umgebauten Kraftwerk Moorburg möglich wäre.
Eine im Auftrag von Shell angefertigte, auf das Jahr 2016 bezogene Studie zur Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Erdgas berichtet, dass nach Umrüstungsbeispielen in Deutschland einzig die Umstellung von Heizkraftwerken eine wirtschaftliche Grundlage hatte und hat. Das Kraftwerk Moorburg koppelt jedoch nur eine im Vergleich zu seiner Kapazität kleine Menge an Wärme aus. Ein Anschluss an das zentrale Hamburger Fernwärmenetz ist gegenwärtig nicht vorgesehen. Damit würde sich sogar die Frage stellen, ob nicht ein Neubau eines hochflexiblen Gaskraftwerks mit einem besseren elektrischen Wirkungsgrads als das umgerüstete Kraftwerk Moorburg als Ersatz für das Kohlekraftwerk Moorburg vorzuziehen wäre, bis genug Strom aus erneuerbaren Quellen verfügbar ist.
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass sich eine Umrüstung bei einem CO2-Preis von 30 €/t CO2 theoretisch lohnen könnte. Gegenwärtig liege der Preis von Zertifikaten bei 25 €/t CO2. Allerdings dürfte bei diesem Wert eine 30-jährige Amortisationszeit unterstellt worden sein. Ein so langer Betrieb könne ausgeschlossen werden. Denn verschiedene offizielle Szenarien sähen vor, dass die Region Hamburg / Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2035 vollständig mit erneuerbarem Strom versorgt werden solle.
Zeitliche Perspektive für eine Umrüstung des Kraftwerks Moorburg
Nach den Plänen der SPD könnte einer der beiden Blöcke des erst seit 2015 laufenden Kohlekraftwerks auf Gas umgestellt werden. Der zweite Block würde vom Netz gehen, sobald der erste Block umgerüstet ist. Das Gelände soll außerdem für einen Elektrolyseur zur Erzeugung von grünem Wasserstoff genutzt werden. Die Pläne zur Umrüstung sollen möglichst ab 2022 konkret werden.
Tschentscher machte deutlich, dass bis zu einer Realisierung der Idee noch viele Schritte zu gehen seien. Erste Gespräche mit dem Kraftwerksbetreiber Vattenfall habe es bereits gegeben. Die Hamburger SPD will nun eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben.
Die Pläne, das Kraftwerk Moorburg von Kohle auf Gas umzurüsten, sind nicht neu. Schon kurz nach der Inbetriebnahme dieses Steinkohle-Kraftwerks im Jahr 2015 war zu lesen, Vattenfall habe vor, das Kohlekraftwerk Moorburg in den nächsten fünf Jahren zu verkaufen. Man brauche Moorburg nicht zu besitzen und könne sich auf lange Sicht bessere Besitzer vorstellen, so der Vattenfall-Chef Hall gegenüber der Nachrichten-Agentur Reuters. Von Zeit zu Zeit wurden diese Verkaufsabsichten wiederholt.
Auch von einer Umrüstung auf Gas oder gar auf Biomasse – Holz, Stroh oder Grünabfälle – war die Rede. Das allerdings, so der schwedische Konzern, könne sich Vattenfall nicht allein leisten, das müsse die öffentliche Hand unterstützen.