Der Hamburger Energietisch

Für die Energiewende in Hamburg

Alle sparen Gas  – die Hamburger Energiewerke tun das Gegenteil

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In Deutschland ist im kommenden Winter mit einer Gasmangellage zu rechnen. In der Folge kann es zur Abschaltung ganzer Unternehmen kommen. Regierungen und Verbände rufen daher seit Monaten zur Einsparung von Gas auf – auch in Hamburg. Doch die Hamburger Energiewerke scheinen sich nicht darum zu kümmern. Sie verbrauchten im Sommer 2022 in ihrem Gas- und Dampfkraftwerk Tiefstack für die Erzeugung von Strom um 70 Prozent mehr Erdgas als im Sommer des Vorjahres. Offenbar, um damit möglichst hohe Gewinne zu machen.

Am 24. Februar 2022 griff Russland völkerrechtswidrig die Ukraine an.

Am 30. März 2022 rief das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die erste Stufe des Notfallplans Gas aus. Anlass war Russlands Drohung eines Lieferstopps, sollte die Bezahlung von Gaslieferungen nicht in Rubel erfolgen.

Am 23. Juni 2022 folgte die Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas auf Grund der seit dem 14. Juni 2022 bestehenden Kürzung der Gaslieferungen aus Russland und wegen der weiterhin hohen Preise am Gasmarkt.

Bild 1: Gasflüsse aus Russland im Jahr 2022 in GWh pro Tag (Quelle: NDR)

Unmittelbar nach der Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas forderte Hamburgs Umweltsenator Kerstan auch die Industrie zum Einsparen von Gas auf:

Mit Erklärungen des Industrieverbands Hamburg, man unternehme schon alles Mögliche, um den Gas-Verbrauch zu senken, weitere Einsparungen wären nur machbar, wenn die Produktion gedrosselt würde, wollte sich Kerstan nicht zufrieden geben: „Sich jetzt hinzustellen und zu sagen, wir können nichts tun, das sollen sie sich noch mal genau überlegen, weil sonst werden andere Leute die Entscheidung treffen.“ Wenn es nicht gelinge, vom 1. Juli an mindestens 20 Prozent Gas einzusparen, ginge das Gas im Herbst, spätestens aber im März aus.

Seither ist in Hamburg viel über Maßnahmen zur Einsparung von Energie, insbesondere von Erdgas zu lesen. Beispielsweise wurde vom Ersten Bürgermeister Tschentscher, von Energiesenator Kerstan, vom Präses der Handelskammer Aust und vom Präsidenten der Handwerkskammer Stemmann am 22. September eine Energiesparkampagne unter dem Motto „Hamburg dreht das“ gestartet, an der sich zahlreiche Hamburger Unternehmen, Einrichtungen und Vereine beteiligen wollen. Kerstan dazu: „… niemand muss tatenlos bleiben, wir alle haben es in der Hand, achtsam und sparsam mit Energie umzugehen. Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde trägt dazu bei, der Energieknappheit vorzubeugen.“

Bild 2: Kampagne „Ganz Hamburg spart Energie“ (Quelle: Senatskanzlei)

Das GuD Tiefstack hat jedoch seinen Erdgasverbrauch erhöht

Senator Kerstan ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hamburger Energiewerke (HEnW). Der Fernwärmeversorger Wärme Hamburg GmbH und der Strom- und Wärmeversorger Hamburg Energie GmbH wurden kürzlich per Fusion zu den HEnW zusammengefasst. Man könnte also erwarten, dass auch die HEnW ihren Gasverbrauch so weit wie möglich reduzieren. Überraschenderweise zeigt eine Überprüfung jedoch das Gegenteil!

Innerhalb der Hamburger Energiewerke ist das Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) Tiefstack ein besonders wichtiger Erdgasverbraucher. Da in den Sommermonaten die Wärme aus der Müllverbrennungsanlage in der Borsigstraße ausreicht, um alle Bezieherinnen und Bezieher von Fernwärme mit Warmwasser zu versorgen, wäre zu erwarten, dass im Sommer 2022 im GuD Tiefstack die Verstromung von Erdgas im Vergleich zu vorausgehenden Jahren stark verringert wurde.

Allen Sparappellen der Bundesregierung und der Landesregierung Hamburgs zum Trotz wurde aber im GuD Tiefstack in den Sommermonaten Juni, Juli und August 2022 zusammen um 70 Prozent mehr Strom aus Erdgas erzeugt als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres 2021 (Bild 3).

Bild 3: Vergleich der sommerlichen Stromerzeugung mit Erdgas im GuD Tiefstack in den Jahren 2022 und 2021 (Datenquelle: Energy Charts der Fraunhofer ISE)

Nach Daten der Energy Charts des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE wurden in den drei Sommermonaten des Jahres 2021 im GuD Tiefstack zusammen 16,9 GWh Strom erzeugt, im entsprechenden Zeitraum des Jahres 2022 waren es dagegen 28,9 GWh.

Warum steigern die HEnW ihren Erdgasverbrauch im GuD Tiefstack?

Warum folgen die Hamburger Energiewerke nicht den klaren Vorgaben ihres Aufsichtsratsvorsitzenden? Die zuständigen Behörden, die Bürgerschaft, der Erste Bürgermeister und die Zivilgesellschaft sollten Aufklärung darüber verlangen, weshalb ein stadteigenes Unternehmen die Regierungsvorgaben verletzt.

A) Als Erzeuger von Fernwärme wird das GuD Tiefstack im Sommer nicht gebraucht.

Die Rolle ihrer Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD) in Tiefstack erläutert die Wärme Hamburg GmbH selbst so: „Die beiden Heizkessel für die Spitzenlast werden mit Erdgas befeuert und dienen der Absicherung der Wärmeversorgung in Zeiten, in denen besonders viel Wärme benötigt wird.“ Das GuD dient also der Absicherung der Wärmeerzeugung im Winter.

Ohnehin wird im Sommer von den HEnW als Koppelprodukt der Stromerzeugung viel mehr Wärme erzeugt als gebraucht wird. Viel davon dürfte neuerdings weggekühlt worden sein. Für die Bereitstellung von Warmwasser im Hamburger Fernwärmenetz reicht allein schon die Wärme aus der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße weitgehend aus. In den Sommermonaten 2022 liefen aber auch die Steinkohle-Heizkraftwerke Wedel und Tiefstack mit hoher Leistung. Bild 4 zeigt, dass gegenwärtig die mit Steinkohle gefeuerten Heizkraftwerke Tiefstack und Wedel im Sommer ähnlich viel Strom erzeugen wie im Winter. Eine Reduktion ergab sich nur auf Grund der jährlich erfolgenden Wartungszeiten der einzelnen Kraftwerke.

Im Vergleich zum Strom aus der GuD-Anlage in Bild 3 sind die Werte des monatlich in den Heizkraftwerken erzeugten Stroms zwischen 80 und 210 GWh viel höher. Aber das Problem ist in Hamburg gegenwärtig nicht ein Mangel an Steinkohle, sondern eine Notlage für die Versorgung mit Erdgas.

Bild 4: In den Monaten Januar bis September in den Steinkohle-Heizkraftwerken Tiefstack und Wedel erzeugter Strom in GWh pro Monat (Datenquelle: Energy Charts der Fraunhofer ISE)
Bild 5: Stromerzeugungs-Leistung des GuD Tiefstack im Juli 2022. Hohe Leistungen in kurzen Zeitintervallen und sehr geringe Leistungen im Rest der Zeit (Datenquelle: Energy Charts der Fraunhofer ISE)

B) Das GuD Tiefstack erzeugte im Sommer Strom zwecks Gewinnmaximierung

Bild 5 zeigt, wann und mit welchen Leistungen im Monat Juli 2022 im GuD Tiefstack Strom erzeugt wurde. In kurzen Zeitintervallen von meist wenigen Stunden wurde mit voller Leistung von gut 100 MW Strom erzeugt, manchmal mit der halben Leistung. In den restlichen Zeitintervallen war die Stromerzeugung sehr gering.

Als Ausschnitt aus Bild 5 sind in Bild 6 für die 29. Woche des Jahres 2022 die Werte der Nettostrom-Leistung des GuD Tiefstack den Preisen an der Strombörse und der gesamten deutschen Stromproduktion gegenübergestellt. Gut zu erkennen ist, dass häufig morgens und abends die Strompreise (rot und Skala rechts) sehr hoch sind, weil hier oft die Stromnachfrage das veränderliche Dargebot an Solarstrom (grün) übersteigt. Genau in diesen Zeitenintervallen wurde Erdgas im GuD Tiefstack verbrannt, offensichtlich weil hier trotz der gegenwärtigen hohen Erdgaspreise noch erhebliche Gewinne zu machen waren. (Es gab kurze Zeitspannen, in denen der Preis pro Megawattstunde sogar auf über 1000 € anstieg.)

Bild 6: Zeitlicher Zusammenhang zwischen der Stromerzeugungsleistung des GuD Tiefstack (blau) und den Preisen an der Strombörse EEX (rote Linie; Day Ahead Auktion) in der 29. Woche des Jahres 2022, vom 18. bis zum 24. Juli. Die rote Linie überlagert die Leistung der gesamten Stromproduktion in der BRD. Grün die Leistung der stark veränderlichen erneuerbaren Stromproduktion. Deutlich wird die durch gestrichelte Linien angedeutete zeitliche Korrelation zwischen dem Börsenstrompreis und der Stromerzeugung im GuD Tiefstack (blau) (Datenquelle: Energy Charts der Fraunhofer ISE)

Warum wurde in den Zeitenintervallen, in denen das GuD Strom mit hoher Leistung erzeugte, nicht die entsprechende Strommenge billiger in den Steinkohle-HKW erzeugt? Nach Bild 7 liefen die Kohle-Heizkraftwerke Tiefstack und Wedel 1 selbst mit hoher Leistung (während Wedel 2 gewartet wurde). Zudem eignet sich das GuD besser für rasches Herauf- und Herunterfahren der Leistung als die Kohle-Heizkraftwerke.

Bild 7: Zeitlicher Zusammenhang zwischen der Stromerzeugungs-Leistung des GuD Tiefstack (blau) und den Stromerzeugungs-Leistungen der Heizkraftwerke Tiefstack und Wedel 1 in der 29. Woche des Jahres 2022 (Wedel 2 in dieser Woche ohne Stromproduktion). (Datenquelle: Energy Charts der Fraunhofer ISE)

C) Gibt es vertragliche Gründe für die Stromerzeugung des GuD Tiefstack?

Die HEnW verkaufen den erzeugten Strom zu einem großen Teil nicht an der Strombörse, sondern langfristig. Könnte die Stromerzeugung des HKW Tiefstack in kurzen zeitlichen Intervallen mit langfristig eingegangenen Lieferverpflichtungen der HEnW zusammenhängen? Nach den Daten der Stromerzeugung in den Energy Charts wie in Bild 6 ist das sehr unwahrscheinlich.

Auch eine Vermutung, es könnte sich um Stromexport ins Ausland, beispielsweise nach Frankreich handeln, wird durch den Vergleich der Stromleistung des GuD und den Leistungen des Strom-Imports und -Exports in den Energy Charts widerlegt. Eine Korrelation mit dem Strom-Export nach Frankreich ist dabei nicht zu erkennen.

Damit bleibt als Schlussfolgerung, dass der Grund für den um 70 Prozent höheren Erdgasverbrauch des GuD Tiefstack im Sommer 2022 gegenüber dem Sommer 2021 in der Profitmaximierungs-Absicht der HEnW zu suchen ist.

Erwähnt sei noch: Im Jahr 2020 lag die kumulierte Stromerzeugung im GuD Tiefstack in den Sommermonaten wesentlich höher als 2021 und 2022, sogar höher als im Winter. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass genau in diesem Zeitraum die Erdgaspreise niedriger waren als die Preise für Steinkohle (Bild 8).

Bild 8: Entwicklung der Erdgas- und Kohle-Kraftwerkspreise nach EWI Köln

Wie soll es weitergehen?

Zur Rechtfertigung des Anstiegs des Erdgasverbrauchs im GuD Tiefstack im Sommer 2022 ließe sich einwenden, dass das Ziel der Bundesregierung, die deutschen Gasspeicher bis zum 1. November 2022 auf einen Speicherstand von 95 Prozent zu füllen, sogar vorzeitig erreicht wurde.

Die Bundesnetzagentur stellt aber in ihrem wöchentlichen Lagebericht vom 13. Oktober 2022 fest:

  • Die Lage ist angespannt und eine weitere Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden.
  • Die Bundesnetzagentur betont ausdrücklich die Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs.

Die HEnW schreiben selbst zur Beruhigung ihrer Kundinnen und Kunden unter der Überschrift „Alarmstufe im Notfallplan für die Gasversorgung“:

„Wenn es tatsächlich zu einer Gasmangellage käme (§ 53a EnWG), dann wären Wärmeversorger (Heizwerke und KWK Anlagen) ebenso wie Haushalte besonders geschützt und erhielten vorrangig Erdgas.

Im Brennstoffmix des Stadtnetzes der Hamburger Energiewerke hatte Erdgas im Jahr 2021 einen Anteil von rund 15 Prozent. Das bedeutet auch, dass die Erzeugungsanlagen der Hamburger Energiewerke und weiterer Wärmelieferanten (z. B. Müllverwertungsanlagen) bis zu Außentemperaturen von bis zu 5°C prinzipiell in der Lage sind, ausreichend Wärme ohne Erdgaseinsatz zu liefern.“

Daher sollte die Stromerzeugung mit Erdgas im GuD Tiefstack zwecks Optimierung der finanziellen Gewinne der HEnW sofort beendet werden. Bis zum Winter sollte hiermit nicht gewartet werden.

Kürzlich tauchte in der WELT ein Artikel auf, in dem es hieß: „Um die Fernwärmeversorgung in Hamburg trotz drohender Gasmangellage zu sichern, unternimmt die Hansestadt drastische Maßnahmen. In den Kraftwerken Tiefstack und am Haferweg wird im Winter Öl statt Gas verfeuert.“

Senator Kerstan habe verkündet, dass „zwei der Hamburger Kraftwerke, nämlich das Heizkraftwerk Tiefstack und das Heizwerk am Haferweg, von Gas- auf Ölbetrieb umgestellt werden. Es werde bereits Öl gebunkert. … Die beiden Kraftwerke werden diesen Winter gar kein Gas verbrauchen.“

Damit bezog sich Kerstan nicht auf das GuD Tiefstack, das nicht auf einen Betrieb mit Öl umgestellt werden kann, sondern nur auf eine Zusatzfeuerung mit Öl statt Erdgas im Kohle-Heizkraftwerk Tiefstack. Während das Heizwerk am Haferweg von Erdgas auf Öl umstellbar ist, gilt dies nicht für die anderen Heizwerke, mit denen im Winter Fernwärme für das Stadtnetz erzeugt wird, insbesondere für das leistungsstarke Heizwerk HafenCity.

Im Übrigen: In den beiden großen Heizkraftwerken Hamburgs, Tiefstack und Wedel, wird im Jahr 2022 um 42 Prozent mehr Strom durch Verbrennung von Steinkohle erzeugt werden als im Jahr 2019. Das wirft für die HEnW satte Gewinne ab. Auf zusätzliche Gewinne aus der Erdgasverbrennung sollte das Unternehmen in der gegenwärtigen Gaskrise daher wirklich verzichten können.

  1. Oktober 2022

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