CDU und CSU versuchen, mit populistischen Argumenten die Mitwirkungsrechte der Natur- und Umweltschutzverbände einzuschränken. Ihre Vorstöße sind weitreichend. Sie richten sich insbesondere gegen das Verbandsklagerecht.
Ein „11-Punkte-Plan für schnelleres Planen und Bauen“ vom 13.9.2019 enthält zahlreiche Forderungen von fünf prominenten CDU-Abgeordneten. Es geht ihnen darum, Infrastruktur-Vorhaben reibungsloser durchsetzen zu können. Das Hamburger Abendblatt berichtete Mitte September 2019 darüber: „CDU will für schnelleres Bauen Verbandsklagen einschränken“.
Ganz in diesem Sinne versuchte die Hamburger Industrie entsprechende Zugeständnisse vom Hamburger Senat zu erhalten.
Ende November 2019 wurden die Forderungen der CDU erweitert zu einem 12-Punkte-Plan. Nach dem Punkt 12 sollen bei Projekten der öffentlichen Hand Schätzungen der Projektkosten erst dann kommuniziert werden, wenn dem Bauherrn belastbare Daten zu den Kosten einzelner Maßnahmen und Bauteile vorliegen. So lange würden der Öffentlichkeit Schätzungen der Kosten eines Projekts vorenthalten. Auch damit würde die Beteiligung der Betroffenen eingeschränkt.
Erreichen von Klimaschutzzielen durch Behinderung der Umweltverbände?
Mit dem Plan gehe es darum „gerade in den kommenden Jahren, massiv in den Ausbau beispielweise der Schieneninfrastruktur zu investieren, um die Klimaschutzziele zu erreichen.“
Klimaschutzziele erreichen? In der Forderung 6 werden die Beteiligungsrechte der Umweltverbände direkt angegriffen. Die Umweltverbände sollen nur noch klagen dürfen, wenn die Belange des entsprechenden Verbands direkt betroffen sind oder eine ordnungsgemäße Beteiligung im Genehmigungsverfahren nicht gegeben war. Ähnliche Forderungen war auch in einem „Geheimpapier“ enthalten, mit dem die CDU-orientierte Hamburger Industrie den Hamburger Senat konfrontiert hatte.
Nach der gleichen Forderung 6 soll die so genannte „Präklusion“ wieder eingeführt werden. Klageberechtigte sollen „verpflichtet werden, alle ihnen bekannten verfahrensrelevanten Umstände bereits im Verwaltungsverfahren mitzuteilen, anstatt erst hinterher dagegen zu prozessieren.“ Präklusionsvorschriften bewirken, dass für Kläger in Gerichtsverfahren alle Einwendungen ausgeschlossen werden, die sie im Verwaltungsverfahren nicht rechtzeitig geltend gemacht haben. Der Europäische Gerichtshof hatte solche Vorschriften im Oktober 2015 für rechtswidrig erklärt.
Einige Medien leisten faktisch Unterstützung durch die unkommentierte Wiedergabe der CDU-Pläne, vorgetragen unter anderem vom Hamburger CDU-Politiker Christoph Ploß:
Schluss mit Klagen Jetzt kommt der Bau-Turbo für Hamburgs Autobahnen (Hamburger Morgenpost)
CDU: Autobahnbau rund um Hamburg beschleunigen (ndr)
CDU-Abgeordneter will Gesetz zum beschleunigten Autobahnbau (focus)
Auf der Linie von Trump?
Die Pläne der CDU/CSU ähneln dem Vorgehen von US-Präsident Trump. Auch dieser will Umweltprüfungen bei Infrastrukturprojekten beschleunigen, damit Bauvorhaben schneller umgesetzt werden können. Das seit 50 Jahren geltende Nationale Umweltpolitik-Gesetz (Nepa) solle so geändert werden, dass die Kontrolle, welche Umweltschäden zu befürchten sind, nicht länger als zwei Jahre dauern darf.
Seit seiner Amtsübernahme hat Trump fast 100 Umweltschutz-Regularien rückgängig gemacht oder abgeschwächt. Sie betreffen unter anderem gefährdete Tierarten, Emissionen von Kohlekraftwerken, Energieeffizienzregeln und Vorschriften für den Gewässerschutz. Wollen sich CDU/CSU diesem „Vorbild“ anschließen?
Gesetze anstelle von Beteiligungsrechten?
Ein Trick, mit dem nach den Wünschen von CDU/CSU die Beteiligung von Natur- und Umweltschutzverbänden umgangen werden soll, ist der Beschluss großer Infrastruktur-Vorhaben durch den Gesetzgeber. Bürger und Umweltverbände sollen nach dem Erlass von gesetzlichen Regelungen zu speziellen Infrastruktur-Vorhaben nicht mehr vor Verwaltungsgerichten klagen können.
Dazu Winfried Hermann, Verkehrsminister von Baden-Württemberg, in der Sitzung des Bundesrats am 20. Dezember 2019: „Dieses Gesetz widerspricht nach meiner festen Überzeugung zentralen Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats.“
Verkehrsminister Scheuer (CSU) will mit einem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MvbG) nicht nur den Ausbau einiger Eisenbahnstrecken beschleunigen. Zu den „umweltfreundlichen“ Verkehrsprojekten wird auch gleich noch die Fahrrinnenvertiefung der Außenweser und der Unterweser hinzugefügt: Fahrrinnenanpassung als Klimaschutzmaßnahme. Im Gesetzentwurf steht zunächst nur die weniger strittige Vertiefung der Außenweser. Die im ursprünglichen Referentenentwurf enthaltene Unterweser könnte aber im Gesetzgebungsverfahren im Bundestag im letzten Moment wieder aufgenommen werden.
Gesetze statt Planfeststellungsverfahren schlagen führende CDU-Politiker auch für Hamburg vor: Weinberg, Ploß, Kerssenbrock fordern: Neue Köhlbrandquerung muss durch das Parlament beschlossen werden. Je nach Zuständigkeit soll nach dieser Forderung die neue Köhlbrandquerung vom Bundestag oder von der Hamburger Bürgerschaft beschlossen werden. Bevorzugtes Argument für solche Forderungen ist meist die lange Dauer der Durchsetzung der letzten Elbvertiefung.
„Scheuer will umstrittene Großprojekte per Gesetz genehmigen statt durch eine Verwaltungsentscheidung. Das ist eine schwere Verletzung der Aarhus-Konvention, welche die Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft garantiert. Wer sich nicht an Umweltrecht halten möchte, schränkt das Klagerecht ein. Die Bundesregierung muss dieses Vorhaben stoppen, bevor weiterer Schaden angerichtet wird.“ so der BUND.
Der Aarhus-Konvention zur Stärkung der Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft bestätigt daher Forderung 1 des 11-Punkte-Plan der CDU „Reformbedürftigkeit“.
Das sogenannte Maßnahmengesetz-Vorbereitungsgesetz (MgvG) ist der Versuch der schwarz-roten Bundesregierung, die Beteiligungs- und Klagerechte von Bürger*innen und Umweltverbänden gegen umstrittene Großprojekte europarechts- und völkerrechtswidrig auszuschalten. (BUND Bremen 14.12.19). Ähnlich urteilte auch der BUND NRW am 17.12.19.
Umsetzung des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD von 2018
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die jetzige Bundesregierung im Jahr 2018 vereinbart:
„Zudem wollen wir auf Grundlage europäischen Rechts das Verbandsklagerecht in seiner Reichweite überprüfen und uns auf EU-Ebene für die Wiedereinführung der Präklusion einsetzen.
Für fünf Pilotprojekte wollen wir Baurecht durch Maßnahmengesetze erproben. Das Instrument der Plangenehmigung wollen wir stärken, insbesondere bei Ersatzneubauten und Lärmschutzmaßnahmen.“
Genehmigungsbeschleunigung ginge auch im Konsens mit Natur- und Umweltschutzverbänden: Für die Beschleunigung der Planung und Genehmigung großer Verkehrsinfrastrukturprojekte hat der BUND am 5.12.2019 ein Fünf-Punkte-Programm vorgelegt.
Die SPD auf gefährlichen Wegen
Da der Ausbau der Windenergie in Deutschland zusammenzubrechen droht, beabsichtigt die SPD unter anderem „die Möglichkeiten der Bürger einschränken, Windmühlen per Klage zu verhindern. Die bisherigen „langatmigen Planungsprozesse“ werde sich Deutschland nicht mehr erlauben können, wenn die „enorme Transformation“ der Energieversorgung bewältigt werden solle, warnte Miersch …“.
„Klagemöglichkeiten sollen eingeschränkt werden„, so lauten die Überschriften in entsprechenden Meldungen.
Die taz vom 3.1.2020 warnt vor einem Vorgehen dieser Art: „Die Bürgerrechte zu beschneiden ist jedoch ein ganz heikles Thema, und das sollte auch bedenken, wer der Windkraft grundsätzlich positiv gesinnt ist. Denn wer ein solches Fass aufmacht, weiß nicht, wo die Debatte endet. Es könnten so große Errungenschaften wie die Verbandsklage im Naturschutzrecht ausgehöhlt werden.“