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Neokolonialismus, so ist im Internet zu finden, sei die Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln. Er gehe einher mit der Begünstigung von Eliten, wenigen Personen in den betroffenen Ländern, während die Mehrheit der Bevölkerung keinen Nutzen daraus ziehen könne, aber ökonomische, soziale und ökologische Schäden zu tragen habe. In den Industrieländern des globalen Nordens werde geplant und entschieden. Die Menschen in den betroffenen Ländern des globalen Südens würden erst nach den Entscheidungen erfahren, was auf sie zukomme.
Der folgende Vorgang lässt sich in diese Beschreibung einordnen. Er wird daher ausführlich dokumentiert.
Dr. Chris Brown ist in Namibia ein einflussreicher Mann. Zurzeit ist er Geschäftsführer der namibischen Umweltkammer (NCE). Zuvor war er Leiter des Namibia Directorate of Environmental Affairs (DEA) im Ministerium für Umwelt und Tourismus. Bei der Ausarbeitung der Umweltklauseln in der namibischen Verfassung spielte er eine Schlüsselrolle. Zwölf Jahre lang war er Exekutivdirektor der Namibia Nature Foundation (NNF), die gegenwärtig am Prüfprozess der Hamburger Umweltbehörde zur Buschholznutzung beteiligt ist. Unter anderem ist Dr. Brown im Beirat für nachhaltige Entwicklung in Namibia aktiv. Als Ökologe und Umweltwissenschaftler verfügt er über mehr als fünfunddreißig Jahre praktische Erfahrung in den Bereichen Umweltmanagement und -verwaltung, strategische Planung und Entwicklung, Projekt- und Programmgestaltung und -koordination. So sein Portrait im Internet.
Am 12. Oktober 2020 machte Bertchen Kohrs, die Vorsitzende des namibischen Umweltverbandes Earthlife Namibia, in Namibia eine Gemeinsame Stellungnahme von 21 Umweltverbänden und wissenschaftlichen Einrichtungen bekannt. Von dieser Stellungnahme gibt es auch eine englische Fassung. Eine Presseerklärung von Robin Wood stammt vom 9. Oktober 2020.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieser Stellungnahme lehnen das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vorgeschlagene Projekt „Transkontinentale Biomassepartnerschaft Namibia – Hamburg“ entschieden ab. Sie wenden sich gegen den Import von Buschholz aus Namibia, das beispielsweise im Heizkraftwerk Tiefstack anstelle von Steinkohle verbrannt werden soll. Sie erklärten, dieses Projekt stehe im Widerspruch zum Hamburger Netze-Volksentscheid vom 22. September 2013, in dem es heißt: „Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“
Wir können nicht wieder in Höhlen leben!
Dr. Brown reagierte auf die Information von Frau Kohrs noch am gleichen Tag. Er versandte einen an Frau Kohrs gerichteten Offenen Brief an einen umfangreichen Empfängerkreis. Darin richtete er scharfe Angriffe gegen die Gemeinsame Stellungnahme und deren Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
Frau Kohrs solle sich und das Leben auf der Erde nicht mit dieser „populistischen Opposition“ gegen eine vielleicht sehr gute Initiative für Namibia verbinden, so Brown. „Wir können nicht gegen alles Einspruch erheben, was mit Entwicklung und Ressourcennutzung zu tun hat, sonst müssten wir alle wieder in Höhlen leben.“ Er wolle sie „ermutigen, sich nicht von jemandem in Deutschland beeinflussen zu lassen, dessen letztendliche Absichten möglicherweise nicht transparent sind und/oder nicht mit den besten Umweltinteressen Namibias übereinstimmen.“
Diese letztendlichen Absichten lägen für ihn nahe im Hinblick auf die offensichtlichste Option für Hamburg: Gas aus Russland: „Es wäre zu prüfen, ob die Gegner der Biomasse-Option Namibias direkte oder indirekte Interessen im Gas- oder Kohlesektor haben …“. „Viele der Informationen in der Erklärung und der Pressemitteilung sind unbegründet, basieren auf falschen Annahmen und sind sachlich falsch – sie scheinen darauf abzuzielen, populistische Gefühle in der Öffentlichkeit unter den Uninformierten zu schüren.“
Die „Gemeinsame Stellungnahme“ lehnt das Verfeuern von Buschholz auf Grund von fehlender Klimaverträglichkeit ab. Ein Gutachten hat ergeben, dass die Treibhausgas-Emissionen je nach Nutzungs-Szenario höher als die von fossilem Erdgas oder sogar von Steinkohle wären.
Dr. Brown sieht das ganz anders:
„Ein wichtiger zu berücksichtigender Aspekt ist der Kohlenstoff-Fußabdruck der Busch-Biomasse, wenn sie Deutschland erreicht. Es wird Sie vielleicht überraschen, wenn Sie erfahren, dass spezifische Kohlenstoffbilanzen für das Projekt zeigen, dass es tatsächlich Kohlenstoff-negativ ist. Sie ist also sofort 100%+ besser als sowohl die vorhandene Kohle als auch das Erdgas, mit denen sie verglichen wird.“
Dr. Brown wusste also schon Anfang Oktober von den aufsehenerregenden Berechnungen des Instituts für angewandtes Stoffstrommanagement (IfaS), die in Hamburg erst vier Wochen später durch die Umweltbehörde der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Mit der vom IfaS gelieferten Abbildung einer CO2-Bilanz von Holzpellets soll gezeigt werden, dass trotz des sehr langen Transportweges das Verbrennen dieser Pellets aus namibischem Buschholz in Hamburg nicht nur klimaneutral wäre, sondern dabei sogar noch CO2 aus der Atmosphäre zurückgewonnen werden würde! Man will es nicht glauben. Aber das Grün in der Abbildung scheint kräftiger zu sein als das Schwarz, jedenfalls in der Analyse des IfaS.
Dr. Brown: Eine öffentliche Diskussion wäre nützlich
Am Ende seines Offenen Briefs ermahnt Dr. Brown Frau Kohrs: „Ich möchte Sie bitten, die Ausrichtung von Earthlife auf diese populistische, vielleicht eigennützige Fehlinformation, die darauf abzielt, eine potenziell gute Initiative für Namibia zu untergraben, sehr sorgfältig zu überdenken. Wir müssen der Machbarkeitsstudie ihren Lauf nehmen lassen und dann werden wir alle in einer weitaus besseren Position sein, um zu verstehen, was vorgeschlagen wird und welche Kosten und Vorteile damit verbunden sind. Eine öffentliche Diskussion, in der interessierte Menschen die Fakten erfahren, wäre in der Tat nützlich.“
Mit der „Machbarkeitsstudie“ meint Dr. Brown sehr wahrscheinlich den von der Hamburger Umweltbehörde durchgeführten Prüfprozess im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU), bei dem es allerdings nicht um eine „Studie“ geht.
Wäre die Weitergabe einer Erwiderung auf einen verletzenden Angriff nicht ein Gebot der Fairness?
Frau Kohrs bat Dr. Brown, eine Erwiderung auf seinen verletzenden Offenen Brief an den gleichen Verteiler zu senden, an den seine eigene Erklärung gegangen war. Unabhängig davon schickte Prof. Rabenstein aus Hamburg, der von Dr. Brown als Autor einer Kurzstudie zur Wirkung des Buschholz-Import auf das globale Klima angegriffen worden war, ein Schreiben an Dr. Brown mit einer analogen Bitte.
Dr. Brown hatte aber inzwischen seine Meinung über den Sinn öffentlicher Diskussionen in Namibia revidiert. Die Versendung der beiden Richtigstellungen an seinen eigenen Verteiler kämen für ihn keinesfalls in Frage.
Er schrieb an eine Bekannte von Frau Kohrs, er habe „eine feste Einstellung gegenüber Menschen, die vor der Veröffentlichung der Ergebnisse eines Projekts eine starke Position gegen dieses Projekt einnehmen und dann versuchen, die öffentliche Meinung unter dem Deckmantel eines „wissenschaftlichen Experten“ zu beeinflussen. Das ist Aktivismus, nicht Wissenschaft. Und wenn es von Leuten gemacht wird, die behaupten, Wissenschaftler zu sein, dann werden sie zu Populisten. Davon haben wir genug in der politischen Welt, wir brauchen das nicht in der wissenschaftlichen Welt. Die meisten Mitglieder der Öffentlichkeit haben nicht die Zeit, Dutzende von Berichten und Publikationen zu lesen und so zu einer informierten Meinung zu gelangen, so dass sie sich von dem leiten lassen, was sie als die Meinung von „Experten“ betrachten. Und wenn Leute, die vorgeben, Experten zu sein, zu populistischen Fürsprechern werden, dann muss man sie herausfordern und die Sache richtig stellen.“
„Wenn Wissenschaftler über Informationen verfügen, von denen sie glauben, dass sie für die Machbarkeitsstudie wertvoll wären, dann müssen sie diese in diesen Prozess einfließen lassen, damit sie vom Expertenteam im Rahmen des Projekts richtig bewertet werden können. Meiner Erfahrung nach wenden sich „Experten“ populistischen Ansätzen zu, wenn sie eine vorgefasste, oft ideologische Position vertreten und nicht davon überzeugt sind, dass die Daten, auf die sie sich stützen, einer kritischen Überprüfung standhalten.“
Mit dem „Expertenteam“ sind die Befürworter im „Prüfprozess“ der Hamburger Umweltbehörde entsprechend dem Memorandum of Understanding gemeint.
Dr. Brown:
Jetzt keine öffentliche Diskussion über dieses Projekt!
Dr. Brown weiter: „Ich möchte, dass die Machbarkeitsstudie ungehindert von „wissenschaftlichem Aktivismus“ vorangetrieben wird, damit wir gute Ergebnisse und klare Empfehlungen erhalten. Dann können die Diskussionen und die Debatte beginnen.“
„Es scheint, dass die Leute, die gegen das Busch-Biomasse-Projekt sind, eine öffentliche Debatte in diesem sehr frühen Stadium erzwingen wollen, egal wie unangemessen das für einen ausgewogenen und fairen Prozess sein mag. Ich verteidige den Prozess. Daher werde ich von meiner Seite aus nicht helfen, indem ich ihr Feuer mit Sauerstoff versorge. Ich hoffe, dass die wissenschaftliche Gesellschaft einen ähnlichen Ansatz verfolgen wird. Wenn die Machbarkeitsstudie abgeschlossen ist und wir die Informationen haben, dann lassen Sie uns reden, diskutieren und debattieren.“
Dem Hamburger Energietisch teilte Dr. Brown mit:
„Jegliche Maßnahmen Ihrer Organisation oder ihrer Vertreter, die auf unfaire Weise oder durch Fehlinformationen versuchen, den Namen der NCE oder meiner Person zu beschmutzen, werden entschieden abgelehnt.“
„Die namibische Umweltkammer (NCE) wird den Brief von Prof. Dietrich Rabenstein nicht in Umlauf bringen, da ich das Wettbewerbsumfeld in Bezug auf die von Earthlife Namibia verbreitete Erklärung und Pressemitteilung angeglichen habe.“
„Ich habe anderen auf Mitgliedschaft basierenden Organisationen in Namibia geraten, ebenfalls zu vermeiden, zu diesem verfrühten Zeitpunkt eine öffentliche Debatte über dieses Projekt zu fördern.“
Dr. Brown: „Die Machbarkeitsstudie über das Busch-Biomasse-Projekt beginnt gerade erst, und es ist verfrüht, ein öffentliches Interesse zu wecken, das einer präventiven Befürwortung einer Initiative gleichkommt, bevor alle Einzelheiten verstanden sind. In Namibia umfasst unser formeller Prozess ein öffentliches Engagement, das dazu beitragen soll, die Schlüsselfragen einer Entwicklung zu identifizieren, dann eine Reihe von Studien, um die Kosten, den Nutzen und mögliche Abhilfemaßnahmen im Zusammenhang mit diesen Fragen zu verstehen, dann die Bereitstellung der Informationen für alle interessierten und betroffenen Parteien, und dann die Erörterung der Frage und die Entscheidungsfindung. Wir halten es für zutiefst unprofessionell, zu versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, bevor die Studien über den Machbarkeitsprozess abgeschlossen sind.“
Die „anderen auf Mitgliedschaft basierenden Organisationen in Namibia“ scheinen sich Dr. Browns Vorgabe unterzuordnen. Für die Mitglieder der Umweltorganisation Earthlife Namibia hat das sehr unangenehme Folgen. Sie werden sozial ausgegrenzt und eingeschüchtert. Sie müssen mit schlimmen persönlichen Auswirkungen rechnen, wenn der geplante Buschholzexport scheitern sollte.
Hält sich die Hamburger Umweltbehörde
an den Rat von Dr. Brown?
In Hamburg hat die Umweltbehörde auf ihrer einschlägigen Internetseite zum Thema Biomasse-Partnerschaft Hamburg-Namibia zu drei jeweils dreistündigen virtuellen Konferenzen mit der Konferenzsprache Englisch zwischen dem 26.11.2020 und dem 8.12.2020 eingeladen. Laut Veranstaltern soll auch über den Stand der Diskussionen in den Arbeitsgruppen des von der Behörde für Umwelt, Energie, Klima und Agrarwirtschaft (BUKEA) durchgeführten Prüfprozesses zu dieser Partnerschaft berichtet und zu einer öffentlichen Diskussion angeregt werden. Das ist zwar ganz sicher keine ergebnisoffene Diskussion über den Buschholzimport nach Hamburg, aber auch kein Maulkorb für alle Kritikerinnen und Kritiker.
Öffentliche Diskussion in Hamburg,
Maulkörbe in Namibia?
In Namibia dagegen, dem besonders betroffenen Land, wurde von Dr. Brown ein wirksamer Diskussions-Lockdown verhängt, der nach seinen Ausführungen noch lange nicht beendet sein dürfte, wenn Hamburg den Buschholz-Import fertig geprüft und sich entschieden haben wird. Bisher wird von der Umweltbehörde Mitte 2021 als Termin hierfür genannt.
Wer auf Lockerungen des Brown´schen Lockdowns für Diskussionen in Namibia hofft, wird wohl noch viel länger warten müssen.
Wer hier die Wirkungen neokolonialistischer Strukturen sieht, liegt wohl nicht ganz falsch.
(Übertragung aus dem Englischen ins Deutsche durch die Redaktion des HET)
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