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Der Hamburger Senat und die Bundesregierung zur Abfallverbrennung
Die Hamburger Umweltbehörde erklärte Mitte Februar 2023 voller Stolz, mit der geplanten Gesetzes-Novelle zum Hamburger Klimaschutzgesetz bekräftige die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz durch höhere Klimaschutzziele und durch ambitionierte Vorgaben für Wärmenetze.
Durch die Novelle sollen nämlich die Anforderungen an den Anteil erneuerbarer Wärme in den Wärmenetzen der Hansestadt zum Ende des Jahres 2029 von mindestens 30 Prozent auf 50 Prozent angehoben werden.
Es geht aber um einen Etikettenschwindel. Das zeigt sich, wenn man nicht nur den Absatz in der Gesetzes-Novelle ansieht, in dem die Anhebung steht, sondern auch den folgenden Absatz, der eine Veränderung der Bewertung der Wärme aus Abfallverbrennungsanlagen enthält. Wird das Hamburger Klimaschutzgesetz mit diesen Veränderungen beschlossen, so wird die gesamte Wärme aus den Hamburger Abfallverbrennungsanlagen als „erneuerbar“ und „klimaneutral“ anerkannt, ganz gleich wie viel fossiler Plastikmüll verbrannt wird.
Dieser Vorgang ist besonders bemerkenswert, weil die Bundesregierung vor fünf Monaten beschlossen hat, auch die Verbrennung von Abfall in den nationalen Emissionshandel aufzunehmen, ähnlich wie vorher schon Heizöl, Flüssiggas, Erdgas, Benzin und Diesel. Ab 2024 müssen auch für die CO2-Emissionen der Abfallverbrennungsanlagen CO2-Zertifikate gekauft werden. Auch auf der EU-Ebene wurde beschlossen, den EU-Emissionshandel auf die Abfallverbrennung auszudehnen. Der Hamburger Senat schickt sich also an, die Wärme aus der gesamten Abfallverbrennung als erneuerbar und „klimaneutral nutzbar“ anzuerkennen, obwohl die Bundesregierung und die Europäische Union für die damit verbundenen hohen CO2-Emissionen einen Preis beschlossen haben.
Wie ist dieses Missverhältnis zu erklären? Vielleicht spielt dabei eine besondere Nähe zur Lobby-Organisation der Fernwärme-Erzeuger eine Rolle – zum Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V. (AGFW).
Würde diese Planung des Hamburger Senats umgesetzt, so könnten die Fernwärmeunternehmen umso mehr „erneuerbare und klimafreundliche“ Wärme anbieten, je mehr Wärme sie aus Abfall erzeugen würden. Die gerade in Hamburg dringend notwendige verstärkte Abfallvermeidung und die Erhöhung der Recyclingquote würden so durch das Klimaschutzgesetz verhindert werden.
Seit kurzem unterliegt auch die Abfallverbrennung dem Emissionshandel
Der nationale Emissionshandel wird ab 2024 auf die Verbrennung von Abfall ausgedehnt. Die Müllverbrennungs-Unternehmen müssen dann für die Verbrennung von Abfall CO2-Zertifikate kaufen. Das haben Bundestag und Bundesrat am 11. November 2022 bei einer Novellierung des Gesetzes über den Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen beschlossen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG). Vorher war der nationale Zertifikatehandel auf CO2-Emissionen aus dem Einsatz von Heizöl, Flüssiggas, Erdgas, Benzin und Diesel beschränkt.
Der Bundesrat wollte Sonderabfall-Verbrennungsanlagen nicht in das BEHG aufnehmen. Die Bundesregierung bestand jedoch darauf, dass sämtliche Abfallverbrennungsanlagen in die CO2-Bepreisung einbezogen werden müssen. Denn auch Emissionen aus Sonderabfall-Verbrennungsanlagen sind Bestandteil des nationalen Emissionsbudgets, welches gemäß der europäischen Klimaschutzverordnung zur Erfüllung der nationalen Klimaschutzverpflichtungen verringert werden muss.
Auch auf der EU-Ebene wird der reformierte Emissionshandel voraussichtlich fast alle Wirtschaftssektoren abdecken. Am 18. Dezember 2022 wurde bereits beschlossen, das bestehende System auf Emissionen aus der Abfallverbrennung und aus dem Seeverkehr auszuweiten.
Die Neufassung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) stützte sich auf eine vom Umweltministerium (BMUV) beauftragte und für das Wirtschaftsministerium (BMWK) erstellte Studie „Auswirkungen des nationalen Brennstoffemissionshandels auf die Abfallwirtschaft“ (Pohl-Studie vom März 2022). Nach dieser liegt der für Müllverbrennungsanlagen (MVA) typische Anteil biologisch abbaubarer organischer Abfälle bei nur 33 Massen-Prozent (Bild 1, grün auf der linken Seite). Für die CO2-Emissionen aus der Verbrennung der meisten restlichen Anteile müssen ab dem 1. Januar 2024 Zertifikate im nationalen Emissionshandel gekauft werden.
Abwärme aus der Müllverbrennung komplett erneuerbar und klimaneutral?
In eklatantem Widerspruch zu dieser Gesetzgebung auf Bundesebene und zu ähnlichen Beschlüssen der Europäischen Union stehen geplante Änderungen des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes. Ein Referentenentwurf vom 17. Februar 2023 sieht vor, dass die bei der Abfallverbrennung gewonnene Wärme, die im Gesetz als „Abwärme“ bezeichnet wird, als vollständig erneuerbar und als „klimaneutral nutzbar“ anerkannt werden soll. Da nach der Pohl-Studie nur etwa ein Drittel des verbrannten Abfalls organischen Ursprungs (biogen) ist, ist eine solche Bewertung völlig unverständlich und nicht akzeptabel (Bild 2).
Die Abfallverbrennung ist ähnlich klimaschädlich wie die Verbrennung von Steinkohle. Die CO2-Emissionsfaktoren, die für die gegenwärtige Abfallverbrennung anzusetzen sind (nach EBeV 2030, Anlage 2, Teil 5 – Emissionsberichterstattungsverordnung 2030), haben ähnliche Werte wie die der Verbrennung von Steinkohle ohne Berücksichtigung von Vorketten (0,335 kg CO2 pro kWh nach dem Informationsblatt CO2-Faktoren der BAFA, Tabelle 2). Dabei sind mit Steinkohle noch höhere Verbrennungs-Temperaturen und damit bessere Wirkungsgrade erzielbar als mit Abfall.
Vorschriften im geplanten Klimaschutzgesetz
In der geplanten Neufassung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes (HmbKliSchG-E) legt Absatz 1 von § 10 fest, dass Wärmenetzeigentümer spätestens bis zum 1. Juni 2024 Dekarbonisierungsfahrpläne vorlegen müssen. Unter der Voraussetzung, dass die Abfallbeseitigungsanlagen „der Entsorgungssicherheit“ dienen, soll nach Absatz 2 von § 10 nicht nur „unvermeidbare Abwärme aus gewerblichen oder industriellen Prozessen“, sondern in Zukunft auch „Abwärme aus thermischen Abfallbehandlungs- beziehungsweise -beseitigungsanlagen“ als erneuerbare Energie „anerkannt“ werden. „Unvermeidbare Abwärme“ wird in § 3 Nummer 21 definiert als „Abwärme aus Prozessen, die eine innerbetriebliche Abwärmevermeidungs- und Effizienzkaskade beinhalten“. (Näheres zur „Nutzungskaskade Abwärme“ auf Seite 33 in Szenario B)
Im aktuellen Hamburgischen Klimaschutzgesetz (HmbKliSchG) gilt für die „unvermeidbare Abwärme“ aus gewerblichen und industriellen Prozessen noch der folgende Absatz 2 von § 10.
Der erste Satz passt zur industriellen Abwärme des Industriebetriebs Aurubis, die in wenigen Jahren im Hamburger Stadtnetz genutzt werden soll. Im Fall dieser Wärme aus der Kupferproduktion kann erwartet werden, dass beim Produktionsprozess nur unvermeidbare Abwärme anfällt und dass die CO2-Emissionen der Energieträger, die für die chemischen Prozesse eingesetzt werden, vollständig in CO2-Bilanzen des Industriebetriebs einfließen.
In der geplanten Neufassung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes werden nun aber auch thermische Abfallbehandlungs- bzw. -beseitigungsanlagen explizit als Quellen von unvermeidbarer Abwärme aufgeführt, die vollständig als erneuerbare Energie „anerkannt“ werden soll.
Als erneuerbare Wärme kann die Abwärme aus Abfallverbrennungsanlagen jedoch allenfalls in der Höhe des biologisch abbaubaren Anteils anerkannt werden. Der bisherige zweite Satz mit den 50 %, der sich auf den pauschal angenommenen biologisch abbaubaren Anteil bezieht, wurde in der Neufassung gestrichen. (Zu beachten sind Begrenzungen in § 7 Absatz 4 Nr. 2 des BEGH bei der Zuweisung eines Emissionsfaktors Null.)
In den Dekarbonisierungsfahrplänen, die die Betreiber von Abfall-Behandlungsanlagen vorlegen müssen, sollen sie darlegen, wie eine vollständige Dekarbonisierung der Wärmeversorgung bis zum Jahr 2045 erreicht werden kann und wie sichergestellt wird, dass bis zum 31. Dezember 2029 mindestens 50 % der aus dem jeweiligen Netz genutzten Wärme aus erneuerbaren Energien stammt. In der noch geltenden Fassung des HmbKliSchG lag diese Grenze nicht bei 50 %, sondern bei 30 %.
In der Begründung zum Referentenentwurf wird beim § 10 mit dem Übergang von 30 % auf 50 % behauptet: „Dies spiegelt die erhöhten Klimaziele und die dafür erforderlichen umfangreichen Maßnahmen zur beschleunigten Dekarbonisierung wider.“ Eine genauere Prüfung zeigt aber, dass es hier infolge der begleitenden Änderungen in Absatz 2 von § 10 nicht um eine Verbesserung für den Klimaschutz geht, sondern um eine besondere Form von Greenwashing.
Gutachter: „Aus Klimaschutzperspektive macht dies allerdings keinen Sinn.“
Der Novellierung des Klimaschutzgesetzes und der Zweiten Fortschreibung des Hamburger Klimaplans gingen detaillierte Studien unter Leitung des Hamburg Instituts in einem Konsortium mit den Beratungsinstituten Prognos und Öko-Institut voraus.
Für das Jahr 2030 konnte in einem Szenario A, das sich an dem Klimaschutz-Szenario des Bundes orientiert, nur eine CO2-Reduktion von 62 % gegenüber dem Jahr 1990 erreicht werden.
Mit einem Szenario B, das an die einzelnen Sektoren Hamburgs angepasst wurde, kam man für 2030 zu einer CO2-Reduktion von 65 % und bei Herausrechnung des internationalen Luftverkehrs sogar von 69 %. „Es handelt sich dabei um ein sehr ambitioniertes Szenario. Noch darüber hinaus gehende Zielsetzungen empfehlen die Auftragnehmer der FHH nicht“, erklärten die Gutachter in einer Präsentation „Gesamtergebnis aus den Szenarien A und B“.
Zur Müllverbrennung wurde hier auf Seite 8 festgestellt:
„In Szenario B resultieren fast alle Restemissionen aus dem nicht biogenen Anteil der Müllverbrennung in der Fernwärme. In den Bilanzierungsregeln der Verursacherbilanz ließen sich diese Restemissionen nur vermeiden, indem die Müllverbrennung von der Fernwärme abgekoppelt würde. Aus Klimaschutzperspektive macht dies allerdings keinen Sinn.“
Hamburg lässt seine CO2-Emissionen nach einer als Verursacherbilanz bezeichneten Methode errechnen. „Abkoppelung“ der Emissionen der Müllverbrennung hieße, dass diese aus dieser Bilanz verschwinden könnten. Dem Klima würde das nichts helfen, wie die Gutachter schreiben.
Etikettenschwindel anstelle von echtem Klimaschutz
Der beabsichtigten gesetzlichen „Anerkennung“ der gesamten aus der Abfallverbrennung gewonnenen Energie als erneuerbar kommt in der Hamburger Fernwärme große Bedeutung zu, da die für das Stadtnetz genutzte „Abwärme“ zum größten Teil von den Abfallverbrennungsanlagen der Hamburger Stadtreinigung (SRH) geliefert wird. Nach Bild 3 stammte im Jahr 2019 fast ein Viertel des Brennstoffmixes der Wärme Hamburg GmbH, die damals das städtische Fernwärmenetz betrieb, aus der Verbrennung von Abfall unter Einschluss eines kleinen Anteils von Klärschlamm.
Nach der Drs. 22/11263 geht es in Hamburg um die Müllverwertungsanlagen Borsigstraße (MVB) und Rugenberger Damm (MVR) sowie die Sonderabfallverbrennungsanlage der Abfall-Verwertungs-Gesellschaft mbH (AVG). Von der Abfallbehandlungsanlage in Stapelfeld (EEW Stapelfeld) werden CO2-Emissionen mit der Fernwärme nach Hamburg „importiert“. In einigen Jahren kommt noch Müllwärme aus dem neuen Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE) hinzu.
Nach der CO2-Verursacherbilanz handelte es sich in den Jahren 2018 bis 2020 jährlich um etwa 450.000 Tonnen CO2 allein für den Fernwärme-Mix. Als Mülldurchsatz wurden bei der MVB etwa 340.000 Tonnen pro Jahr angegeben, bei der MVR etwa der gleiche Wert. Die nicht-biogenen CO2-Emissionen lagen bei der MVB bei rund 155.000 Tonnen, bei der MVR bei rund 173.000 Tonnen jährlich. Bei der MVB wurden jährlich etwa 730 Gigawattstunden (GWh) Wärme und 23 GWh Strom erzeugt, bei der MVR etwa 550 GWh Wärme und 80 GWh Strom.
Den HEnW dürfte es nach den geplanten Änderungen des Klimaschutzgesetzes nicht schwer fallen, Mitte des Jahres 2024 einen Dekarbonisierungsfahrplan mit 50 % erneuerbarer Wärme am Ende des Jahres 2029 vorzulegen. Der Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke (HEnW) Heine bezifferte beim 3. „Zukunftsdialog“ der HEnW die dem städtischen Fernwärmenetz zur Verfügung stehende Abwärme-Leistung mit 350 Megawatt (MW). Sie stammt zum größten Teil aus der Abfallverbrennung. Zu diesen 350 MW „erneuerbarer“ Abwärme sollen rund 300 MW aus der geplanten Verbrennung von Holz im umgerüsteten Heizkraftwerk Tiefstack hinzukommen. Weitere rund 100 MW dürfte der Energiepark Hafen zur Verfügung stellen (Schwerpunkt: Wärmepumpen in der Kläranlage Dradenau). Schließlich kommt eventuell auch Fernwärme aus einer Tauchsiederanlage (PtH) in Wedel dazu.
Die Summe dieser Leistungen reicht zwar nicht an die Hälfte der für 2030 geplanten thermischen Leistung im Stadtnetz von 1.930 MW heran. Da die Müllwärme aber vorzugsweise in der Grundlast eingesetzt wird, also länger als alle anderen Fernwärme-Quellen, dürften die HEnW in ihrem Dekarbonisierungsfahrplan ohne besondere Mühe den Anteil an erneuerbarer Fernwärme von bisher 30 % auf 50 % erhöhen können. Die „Anerkennung“ der gesamten Abfallwärme als „erneuerbar“ ist der Schlüssel dazu.
Würde eine ehrliche Bilanz von erneuerbarer Fernwärme aufgestellt oder würde sogar gefragt, wie klimaneutral die Fernwärme bis Ende 2029 wäre, so wäre der im geplanten Klimaschutzgesetz vorgegebene Anteil von 50 % anstelle von bisher 30 % nicht zu erreichen.
Erstaunliche Begründungen
Die Gutachter der 2022 erarbeiteten detaillierten Studien zu Szenarien für den Klimaschutz in Hamburg sahen aus Klimaschutzperspektive keinen Sinn in der „Abkoppelung“ der Restemissionen der Müllverbrennung. Warum soll dennoch etwas Derartiges eingeführt werden? Je länger man sich mit dieser Frage befasst, umso mehr wächst das Erstaunen.
Auf eine Frage nach den Gründen, weshalb die Müllwärme als komplett erneuerbar anerkannt werden soll, antwortete der Senat auf die Kleine Anfrage 22/11263 (TAB = thermische Abfallbehandlung):
„Nach der aktuell gültigen Regelung im Hamburgischen Klimaschutzgesetz (HmbKliSchG) kann ein Wärmenetz, welches Abwärme aus TAB beinhaltet, nicht klimaneutral werden.“
Bei der Festlegung der Hamburgischen Klimaschutzziele in § 4 geht es aber zunächst gar nicht um vollständige Klimaneutralität. In der Neufassung des Gesetzes wird in Absatz 1 von § 4 ausgehend vom Basisjahr 1990 in Anlehnung an die Verursacherbilanz lediglich angestrebt: „bis zum Jahr 2045 eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen um 98 v. H.“.
Absatz 2 von § 4 ergänzt sodann den Weg zur vollständigen Netto-CO2-Neutralität bis 2045 so:
„(2) Mit der Verringerung der energiebedingten Kohlendioxidemissionen um 98 v.H. und einer Einbeziehung von Kohlenstoffsenken verfolgt die Freie und Hansestadt Hamburg das Ziel der Netto-CO2-Neutralität bis 2045.“
Der Senat erklärt hier also selbst, wie die Klimaschutz-Ziele vollständig zu erreichen sind: Durch die Einbeziehung von Kohlenstoffsenken. Bild 4 zeigt ganz rechts die Restemissionen im Jahr 2045, die fast vollständig aus dem nicht-biogenen Anteil der Müllverbrennung resultieren und die durch CO2-Senken auszugleichen sind.
Verfügbare CO2-Senken (mit negativen Emissionen) werden ausführlich auf Seite 31 einer Studie des Hamburg Instituts mit dem Titel „Klimaneutralität und Emissionsbilanzierung“ (HI 2022) klassifiziert. Wenn die Senken innerhalb Hamburgs nicht ausreichen, muss auf Senken außerhalb des Stadtgebiets zurückgegriffen werden, so die Studie.
Ähnlich wird im „Eckpunktepapier“ vom 19.12.2022, das dem HmbKliSchG-E zu Grunde liegt, zu den Klimazielen erklärt:
„Reduktion der CO2-Emissionen bis 2045 um 98 Prozent und damit, in Kombination mit Emissionssenken, Erreichen der Netto-Kohlendioxidneutralität.“
Weshalb sollten die Wärmenetze also nicht mit Hilfe von Kohlenstoffsenken bis 2045 Netto-CO2-Neutralität erreichen können?
Worum geht es wirklich?
In der nur vom Hamburg Institut unterzeichneten Studie (HI 2022) tauchen auf Seite 30 „potenzielle Änderungsmöglichkeiten bei der Emissionsbilanzierung“ auf, darunter
- Gesonderte Ausweisung der Abfall- und Abwasserwirtschaft und
- Veränderte Zuordnung der Emissionen aus der Abfallverbrennung
Im „Eckpunktepapier“ vom 19.12.2022 für die zweite Fortschreibung des Hamburger Klimaplans findet sich das gleiche auf Seite 32 unter der Überschrift „7. Nächste Schritte“:
„Gesonderte Bilanzierung eines Sektors Abfall- und Abwasserwirtschaft und Zuordnung der Emissionen aus der Abfallverbrennung zu diesem Sektor“.
Neben den Bilanzierungssektoren, die in Bild 4 zu sehen sind (PHH, GHD, Industrie, Verkehr), soll also ein neuer Sektor geschaffen werden. Diesem sollen die Emissionen der Abfallverbrennung zugeordnet werden. Vorbereitend hierauf wurde in Absatz 1 des § 4 (Hamburger Klimaschutzziele) „Kohlendioxidemissionen nach der Verursacherbilanz“ ersetzt durch „Kohlendioxidemissionen in Anlehnung an die Verursacherbilanz“.
In „Anlehnung“ an die Verursacherbilanz könnte dieser Sektor „Abfall- und Abwasserwirtschaft“ leicht ignoriert werden. Emissionen in diesem Sektor könnten „nachrichtlich“ mitgeteilt werden, wie das in manchen Bilanzen für den internationalen Flugverkehr oder in Hamburg für die Emissionen des Insektizids Sulfurylfluorid gehandhabt wird.
Da aber nach § 4 Absatz 2 eine Nutzung von CO2-Senken für den Ausgleich der bis 2045 hoffentlich stark gesunkenen Restemissionen der Müllverbrennung vorgesehen ist, brauchte es offenbar weitere Begründungen für die gewünschte „gesonderte Bilanzierung“. Auf Seite 35 der Studie (HI 2022) wurde zu diesem Zweck einiges zusammengetragen.
Als Gründe für den Änderungsvorschlag „9. Veränderte Zuordnung der Emissionen aus der Abfallverbrennung“ wurden hier Probleme des „Status quo“ wie diese beschrieben:
Die derzeitige Berücksichtigung der Emissionen aus der Abfallverbrennung in den Emissionsfaktor der Fernwärme werde zu Folgendem führen:
„c. Letztlich zu einem Druck auf die Fernwärmeunternehmen auf die Nutzung von Wärme aus Abfallverbrennung zugunsten anderer Wärmequellen gänzlich zu verzichten“ und
„d. Im Ergebnis zu einer Verbrennung der Abfallmengen ohne Wärmenutzung, da ein anderer Entsorgungsweg (z.B. durch Deponierung) gesetzlich nicht möglich ist.“
Diese Gründe können beim besten Willen nicht ernst genommen werden. Ein solcher Druck auf die Fernwärmeunternehmen wirkt an den Haaren herbeigezogen. Denn alle relevanten Verbände und Fachleute stimmen darin überein, dass Abfälle, die vollständig eine Kaskadennutzung durchlaufen haben und die nicht mehr wiederverwertbar sind, noch energetisch genutzt werde sollten.
Das „Fazit“ von (HI 2022) für eine Empfehlung der „Zuordnung der Emissionen aus der Abfallverbrennung zum Sektor Abfallwirtschaft“ lautet:
- „Derzeit werden nur die Fernwärmeabnehmer mit diesen Emissionen belastet, die jedoch das Ergebnis des Abfallaufkommens der FHH insgesamt sind.
- Dies ist erstens nicht verursachergerecht und zweitens ergibt sich hieraus kein Druck auf die FHH insgesamt, die Abfallmengen zu reduzieren.
- Da es sich bei den Emissionen und deren Verringerung um eine gesamtstädtische Aufgabe handelt, sollte dies dem Sektor Abfallwirtschaft zugeordnet werden, was dessen Ausweisung in der Bilanz voraussetzt.
- In den Emissionsfaktor der Fernwärme sollten die Wärmemengen aus der Abfallverbrennung analog zum GEG mit 0 g/kWh eingehen.“
Auch diese Begründungen der Forderungen des Hamburg Instituts sind überaus einseitig.
- Wenn kritisiert wird, nur die Fernwärmeabnehmer würden mit den CO2-Emissionen der Müllverbrennung belastet, die jedoch das Ergebnis des Abfallaufkommens der FHH insgesamt seien: Inwiefern ist es denn verursachergerecht, die aus der Abfallverbrennung gewonnene recht preisgünstige Wärme nur an die Kundinnen und Kunden der Fernwärme-Unternehmen zu verteilen, obwohl das Abfallaufkommen von der gesamten Bevölkerung verursacht wird?
- Wie steht es mit der Emissionsbelastung der Allgemeinheit durch Verbrenner-Kraftfahrzeuge, Verkehrsflugzeuge, Kreuzfahrtschiffe, Raffinerien und Kohlekraftwerke? Wo bleibt hier die Verursachergerechtigkeit bei der Zurechnung der CO2-Emissionen?
- Warum soll sich aus der Zuordnung der Emissionen aus der Abfallverbrennung zum Sektor Abfallwirtschaft ein größerer Druck auf die FHH insgesamt ergeben, die Abfallmengen zu reduzieren, als wenn diese Emissionen wie bisher der Fernwärme zugeordnet werden? Ist es nicht eher umgekehrt? Für dringend notwendige Maßnahmen des Klimaplans zur Reduzierung des Restmülls in Hamburg wird kein eigener Sektor „Abfallwirtschaft“ gebraucht.
Nach dem Studium dieser Begründungen des Hamburg Instituts drängt sich der Eindruck auf, dass es bei den vorgesehenen Änderungen des § 10 im HmbKliSchG-E vorrangig darum geht, die Fernwärme möglichst rasch vollständig erneuerbar und klimaneutral erscheinen zu lassen und so den überwiegend kommunalen Unternehmen, die Abfall verbrennen und die Energie daraus nutzen, Vorteile zu verschaffen. Hier würden sich sicher wettbewerbsrechtliche Fragen anschließen.
Auch für Abschottung ist gesorgt: Der Referentenentwurf des HmbKliSchG sieht nämlich vor, dass die Dekarbonisierungsfahrpläne der Wärmeversorgungsunternehmen nur der Umweltbehörde BUKEA zur Prüfung vorgelegt werden sollen, nicht einmal der Bürgerschaft, geschweige denn der Öffentlichkeit. Die Forderung nach einer „demokratisch kontrollierten Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“, die der Hamburger Netze-Volksentscheid 2013 zwingend vorgeschrieben hat, soll also wieder einmal unbeachtet bleiben.
Die Idee der Zuordnung zu einem Sektor Abfallwirtschaft ist nicht neu
Sehr bemerkenswert sind die Antworten des Senats auf die Fragen 13 und 14 in der Kleinen Anfrage 22/11263. Gefragt wurde nach einem Absatz im Geschäftsbericht 2020 der Wärme Hamburg GmbH, die das städtische Fernwärmenetz betrieb und die vor kurzem in die Hamburger Energiewerke GmbH (HEnW) integriert wurde. Unter der Überschrift „CO2-Emissionen aus der Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen“ heißt es hier:
„Die Wärme Hamburg bilanziert gemäß dem in der Fernwärme etablierten Standard FW 309-6, der vom AGFW I Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V. festgelegt wurde. Dieser Standard bildet die physikalischen Gegebenheiten in Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung besser ab als die von den Statistikämtern verwendete Finnische Methode.“
Wie schon referiert, lässt Hamburg gemäß dem geltenden Klimaschutzgesetz seine CO2-Emissionen von den staatlichen Statistikämtern nach der Verursacherbilanz ermitteln. Für Hamburgs Klimaplan wird auch in der Begründung zum HmbKliSchG-E ausdrücklich festgestellt: „Der Klimaplan orientiert sich an der Hamburger Verursacherbilanz des Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein als Grundlage.“ Die Wärme Hamburg GmbH (WH) aber teilt in ihrem Geschäftsbericht mit, sie wolle sich wegen „physikalischer Gegebenheiten“ nicht danach richten, sondern stattdessen nach einem Arbeitsblatt FW 309-6 des Fernwärme-Lobby-Verbands AGFW.
Die Antwort des Senats auf die Frage 13 dementierte zurückhaltend den zweiten zitierten Satz aus dem Geschäftsbericht der WH. Auf die Frage 14 „Unterstützt es der Senat, wenn das Unternehmen Wärme Hamburg die Auffassung einer als Verein organisierten privaten Interessengruppe (AGFW) gegenüber einer staatlichen Behörde bevorzugt?“ antwortete der Senat Folgendes:
„Der Senat unterstützt die Anwendung branchenüblicher Bewertungsmethoden durch die HEnW. Im Rahmen der Bilanzierung der städtischen CO2-Emissionen kommt die Finnische Methode gemäß der amtlichen Statistik zur Anwendung.“
Der Hamburger Senat toleriert es also nicht nur, sondern unterstützt es sogar, wenn eines seiner Unternehmen Emissionsbilanzen erstellt und öffentlich verbreitet, die sich nach Vorschlägen von Lobby-Organisationen – Branchenverbände genannt – richten. Das muss zur Folge haben, dass die Bürgerinnen und Bürger mit der Unterstützung des Senats verfälschenden Berichten über CO2-Einsparungen ausgesetzt werden. Dem Senat scheint das nicht nur egal zu sein, er unterstützt es.
Das war nicht immer so: Dr. Beckereit, Geschäftsführer der WH bis Ende 2021, hat bei der Fernwärme aus KWK-Anlagen vorzugsweise nach der Finnischen Methode bilanziert, die bei Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen angewendet wird. Und das nicht zufällig, hatte doch die Umweltbehörde bereits Vattenfall die Anwendung dieser Bilanzierungsmethode wohlbegründet empfohlen.
Der jetzige Sprecher der Geschäftsführung der HEnW, Christian Heine, ist vor kurzem in den Vorstand dieses sehr einflussreichen „Energieeffizienzverbands für Wärme, Kälte und KWK e.V.“ (AGFW) gewählt worden.
Die enge Verbindung mit dem AGFW wird noch dadurch unterstrichen, dass dessen bisheriger Präsident Dr. Andreas Cerbe ab März 2023 zum neuen Geschäftsführer des städtischen Unternehmens Stromnetz Hamburg (SNH) berufen wurde. Aufsichtsratsvorsitzender der HEnW wie der SNH ist Umweltsenator Kerstan.
Diese personellen Verflechtungen sollten Anlass genug sein, den Inhalt des oben genannten AGFW-Arbeitsblatts FW 309-6 „Energetische Bewertung von Fernwärme – Bestimmung spezifischer CO2-Emissionsfaktoren“ genauer zu betrachten.
Gleich am Anfang von Abschnitt 5 dieses Arbeitsblatts findet sich eine Vorschrift, die für die projektierte Umrüstung des Hamburger Heizkraftwerkes Tiefstack wichtig ist:
„Wird Biomasse in KWK-Anlagen oder in Heizwerken eingesetzt, dann ist dieser Brennstoffeinsatz CO2-klimaneutral. Der Emissionsfaktor für diese Brennstoffe ist mit 0 anzusetzen.“
Im darauf folgenden Absatz geht es um die Restmüllverbrennung:
“Sonderfälle stellen die industrielle Abwärmenutzung und die Restmüllverbrennung dar. Hier ist der Brennstoffeinsatz mit Ausnahme des Brennstoffeinsatzes für die Stützfeuerung jeweils dem vorgelagerten Produktions- bzw. Entsorgungsprozess zuzuordnen.“
Welchem „vorgelagerten Entsorgungsprozess“ die CO2-Emissionen der Verbrennung von Abfall zugeordnet werden sollen, weiß das Hamburg Institut, das die „Zuordnung der Emissionen aus der Abfallverbrennung zum Sektor Abfallwirtschaft“ empfohlen hat.
Bisher schien Verantwortlichen das Verständnis dieses gesamten Konstrukts so schwierig, dass sich selbst der Vorstandvorsitzende der Wärme Hamburg GmbH, Senator Kerstan, beim Versuch einer Erklärung sehr schwer tat. Das einfachste für ihn wäre wohl gewesen, darauf zu verweisen, dass sich die von ihm geleitete Umweltbehörde der „Argumentation“ des AGFW angeschlossen hat.
Es überrascht nicht weiter, dass das Hamburg Institut jüngst auch ein Gutachten zur Perspektive der Fernwärme im Auftrag des AGFW ausgearbeitet hat.
Die „Argumentation“ des AGFW zur Verlagerung der CO2-Emissionen der Abfallverbrennung in andere Sektoren ist längst tief in geltende rechtliche Vorschriften vorgedrungen.
Im aktuellen Gebäudeenergiegesetz (GEG) wird in Anlage 9 (Energieausweis) für die „Wärme aus Verbrennung von Siedlungsabfällen (unter pauschaler Berücksichtigung von Hilfsenergie und Stützfeuerung)“ ein Emissionsfaktor von 20 g CO2-Äquivalent pro kWh vorgeschrieben (Steinkohle: 400). In Anlage 3 zu den Siedlungsabfällen (und sicherheitshalber auch gleich der „Abwärme“) findet sich ein Primärenergiefaktor des nicht erneuerbaren Anteils von 0,0.
In einem viel beachteten umfangreichen Gutachten des renommierten Beratungsbüros BET, der Machbarkeitsstudie „Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030“, findet sich auf Seite 94 eine Box „Ermittlung von verbrennungsbedingten Emissionen aus Siedlungsabfall“. Hier wird die Argumentation des AGFW wiederholt und dann erklärt: „Die Zuordnung der Emissionen zum Entsorgungsprozess wird dadurch begründet, dass der primäre Zweck des Verbrennungsprozesses nicht in der Erzeugung von Strom und Wärme liegt, sondern in der Beseitigung der Abfälle.“
Dann folgt eine interessante Feststellung: „Am EU-Emissionshandel nehmen Anlagen, die Siedlungsabfälle verbrennen, nicht teil. Die CO2-Emissionen für die Verbrennung von Siedlungsabfällen sind demzufolge ausgenommen, von der Pflicht für jede emittierte Tonne CO2 ein Emissionszertifikat abzugeben.“
Genau das hat die Bundesregierung im November 2022 geändert. Die Müllverbrennung unterliegt jetzt dem nationalen Emissionshandel. In den EU-Emissionshandel wird sie bald integriert sein. Damit sollte eigentlich auch die Argumentation des AGFW erledigt sein, die natürlich den Zweck verfolgte, die Fernwärme aus der Abfallverbrennung als (fast) klimaneutral zu erklären.
Gegen Anreize für mehr Müllverbrennung mittels Klimaschutzgesetz!
Die oben zitierte Einschätzung der Gutachter, dass die Verlagerung der CO2-Emissionen der Abfallverbrennung in einen Sektor Abfallwirtschaft aus Klimaschutzperspektive keinen Sinn mache, muss präzisiert werden. Es sollte klar sein: Diese Verlagerung schadet dem Klima.
Die im Referentenentwurf vorgeschlagene Neufassung von § 10 Absatz 2 hätte zur Folge, dass Fernwärmeunternehmen umso mehr erneuerbare und klimafreundliche Wärme anbieten könnten, je mehr Wärme sie aus Abfall erzeugen würden. Die Dekarbonisierung der Fernwärme würde somit umso schneller vorankommen, je mehr Abfall zwecks Verbrennung nach Hamburg gekarrt würde. Die gerade in Hamburg dringend notwendige verstärkte Abfallvermeidung und die Erhöhung der Recyclingquote würden also durch das Klimaschutzgesetz im Namen des Klimaschutzes verhindert werden.
Bild 5 zeigt, dass der Anteil am Siedlungsabfallaufkommen, der wiederverwertet wird, in der BRD seit einigen Jahren nicht mehr zunimmt. Hamburg liegt jetzt schon bei der Höhe des Restmüll-Aufkommens pro Einwohner an der Spitze der BRD. Bei der gegenwärtigen Abfallverbrennung der Stadtreinigung Hamburg in Anlagen in der Borsigstraße und am Rugenberger Damm wird Restmüll verbrannt, der noch einen erheblichen Anteil wiederverwertbarer Stoffe enthält.
Aus der Sicht des Klimaschutzes und der Ressourceneinsparung ist daher die „Anerkennung“ von Abfallwärme im Entwurf des Hamburger Klimaschutzgesetzes entschieden abzulehnen. Denn damit würde es noch weniger Anreize für das Recycling geeigneter Stoffe im Abfall geben als schon bisher. Das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), nach welchem ab dem 1. Januar 2024 für die Abfallverbrennung Kosten im nationalen Emissionshandel erhoben werden, ergibt im Vergleich dazu eine wesentlich geringere lenkende Wirkung. Denn nach Einschätzung des Gesetzgebers werden die Wärmeunternehmen die Zahlungen des Emissionshandels auf die Müllgebühren abwälzen und die Erhöhung der Müllgebühren wird nur im unteren einstelligen Prozentbereich liegen.
Zu beachten ist weiter, dass bei den kommenden sommerlichen Überangeboten an Fernwärme die Gefahr besteht, dass wirklich erneuerbare und weitgehend klimaneutrale Wärme aus Solarthermie oder Geothermie durch Wärme aus der Abfallverbrennung verdrängt wird.
Am 2. April aktualisiert.