Der Hamburger Energietisch

Für die Energiewende in Hamburg

Klimaneutralität in Hamburg bei starkem Wachstum?

Kritische Analyse der „Klimaschutz-Szenarien 2022“ für Hamburg,
der Grundlage für die Novellierung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes

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Inhalt:
Zusammenfassung
1. Minderungsziele für die energiebedingten CO2-Emissionen Hamburgs
2. Annahmen für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von Hamburg
3. Energieverbrauch und CO2-Emissionen Hamburgs in den Klimaschutz-Szenarien
4. Wachsende Verkehrs-Emissionen in den Klimaschutz-Szenarien für Hamburg
5. Stark wachsender Luftverkehr in den Klimaschutz-Szenarien für Hamburg
6. Der Gebäudesektor, abhängig von einer konsequenten Elektrifizierung
7. Was leistet Hamburg bei der Dekarbonisierung selbst?

Zusammenfassung

Die Europäische Union will nach ihrem Plan „Fit for 55“ ihre Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber 1990 senken. Im Jahr 2050 soll Europa treibhausgasneutral sein.

Deutschland hat sich mit dem 2021 verschärften Bundes-Klimaschutzgesetz verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 65 % unter den Vergleichswert des Jahres 1990 zu senken. Bis zum Jahr 2045 soll Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden.

Der Hamburger Senat hat erklärt, mit einer Verschärfung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes im Jahr 2030 ein noch ambitionierteres Ziel von 70 % CO2-Reduzierung im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Im Jahr 2045 soll Hamburg CO2-neutral sein.

Eine Überprüfung der Grundlagen für die Novellierung dieses Gesetzes weckt starke Zweifel, ob die geplante Umsetzung dieses Ziels realistisch und glaubwürdig ist. In den Klimaschutz-Szenarien, auf denen die Gesetzesnovelle aufbaut,

  • wird ein viel stärkeres Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von Hamburg als in den vergangenen Jahrzehnten angenommen,
  • liegt die Effizienzverbesserung erheblich unter der vom Energieeffizienzgesetz vorgegebenen,
  • wird unterstellt, dass sich der besonders klimaschädliche Luftverkehr bis 2045 im Vergleich zu 2020 verdoppelt,
  • sollen die CO2-Emissionen des Restmülls, der verbrannt wird, bis 2045 gleich bleiben.

Passen damit die Klimaschutz-Szenarien überhaupt zu den Zielen des Hamburger Klimaschutzgesetzes? Dieses schreibt eine sparsame, rationelle und ressourcenschonende Verwendung von Energie vor. Die ambitionierten Klimaschutzziele Hamburgs für 2030 und für 2045 lassen sich nur erreichen, wenn die umliegenden Bundesländer und weiträumigere Importe rechtzeitig große Mengen an bezahlbarem grünem Strom, Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) bereitstellen. Für sich selbst wählt Hamburg ein hohes wirtschaftliches Wachstum und ein „Weiter wie bisher“ und geht dabei davon aus, dass der überwiegende Teil der CO2-Minderungen „importiert“ werden kann.

Hamburg will sich also mit fremden Federn schmücken, ist allerdings nicht bereit, im Gegenzug die CO2-Emissionen des für den internationalen Luftverkehr vor Ort getankten Kerosins in seine Bilanz zu übernehmen, da sie auch von Fluggästen aus dem Umland verursacht werden. Eine CO2-Minderung von 70 % bis 2030 wird nur durch den Trick erreicht, dass die CO2-Emissionen für den internationalen Luftverkehr aus der CO2-Bilanzierung für Hamburg herausgerechnet werden. Würden diese Emissionen berücksichtigt, läge die Minderung nur bei 65 %.

Bilanzierungstricks sollen auch eingesetzt werden, damit die Fernwärme, die gegenwärtig fast keine erneuerbare Wärme enthält, bis 2045 als fast CO2-frei deklariert werden kann. In Wirklichkeit wird die Fernwärme in Hamburg für lange Zeit sehr klimaschädlich bleiben. Die Hälfte soll aus der Müllverbrennung kommen. Die hohen CO2-Emissionen aus der Verbrennung von fossilem Plastik-Abfall will man verstecken, indem man sie einem eigenen Sektor „Abfall- und Abwasserwirtschaft“ zuordnet, der von der Verursacherbilanz nicht erfasst wird. Die Verbrennung von Steinkohle im umgerüsteten Heizkraftwerk Tiefstack soll um 2030 weitgehend durch die Verbrennung von Holzpellets ersetzt werden, was den unmittelbaren CO2-Ausstoß im Vergleich zur Steinkohle noch vergrößert wird.

Für alle diese Kritikpunkte gibt es einen gemeinsamen Nenner: Hamburg will den unerlässlichen Umbau zur Energiewende so gestalten, dass die Stadt ökonomisch davon profitiert. Die Säulen Ökologie und Soziales finden gegenüber der Säule Ökonomie deutlich weniger Beachtung.

1.    Minderungsziele für die energiebedingten CO2-Emissionen Hamburgs

Als Basis für die Novellierung des Hamburger Klimaschutzgesetzes und die zweite Fortschreibung des Klimaplans ließ die Leitstelle Klima im Jahr 2022 „fachlich-wissenschaftliche Szenarien“ ausarbeiten. Die Hamburg Institut Consulting GmbH (HIC) sollte in Zusammenarbeit mit dem Öko-Institut und der Prognos AG prüfen, welche Klimaziele Hamburg unter realistischen Einschätzungen erreichen kann. Insbesondere war zu analysieren, ob eine im Vergleich zum Bund ambitioniertere Klimaschutz-Zielsetzung Hamburgs möglich ist. Das Bundes-Klimaschutzgesetz schreibt eine Reduzierung der deutschen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2030 um 65 % gegenüber 1990 vor.

Gestützt auf die Ergebnisse dieser Fachgutachten erhöhte Hamburg das Ziel, seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren, von bisher 55 % auf 70 %. Bis zum Jahr 2045 soll in Hamburg Netto-CO2-Neutralität erreicht werden.

Das Gutachter-Konsortium erarbeitete nacheinander mehrere Klimaschutz-Szenarien.

  • Das Szenario A (9.5.2022) baute auf einem aktuellen Ziel-Szenario der Prognos AG für ganz Deutschland aus dem Herbst 2021 auf, in dem Treibhausgas-Neutralität erst 2050 erreicht werden sollte.
  • Das Szenario B (27.10.2022) baut wiederum auf Szenario A auf. Es wurde unter Führung des Hamburg Instituts stärker an einen aktuelleren Stand der Politikinstrumente des Bundes und an die Besonderheiten Hamburgs angepasst.
[Zielorientierte Szenarien sind keine Prognosen. 
Sie beschreiben nur, was unternommen werden sollte,
damit gesetzte Ziele erreicht werden können.]

Tabelle 1 zeigt die in diesen beiden Szenarien erreichbaren CO2-Reduzierungen im Jahr 2030 im Vergleich zu 1990. Die Studie Gesamtergebnis Szenario A und B gibt auch Maßnahmen für noch ambitioniertere Zielsetzungen an (Seiten 9 bis 12). Zu Szenario B stellten die Gutachter aber bereits fest: „Es handelt sich dabei um ein sehr ambitioniertes Szenario. Noch darüber hinaus gehende Zielsetzungen empfehlen die Auftragnehmer der FHH nicht.“

Tabelle 1: Reduzierungen der energiebedingten CO2-Emissionen im Jahr 2030 gegenüber 1990 in zwei Klimaschutz-Szenarien für Hamburg (Quelle: Gesamtergebnis Szenario A und B, Seiten 5 und 6)

Das Szenario B diente als maßgebliche Grundlage des „Eckpunktepapiers für die zweite Fortschreibung des Hamburger Klimaplans“ vom 19.12.2022. In diesem wie im Referentenentwurf für das zukünftige verschärfte Hamburger Klimaschutzgesetz werden CO2-Werte für eine Zielsetzung von 70 % aufgeführt, die nach Tabelle 1 dem Szenario B ohne eine Berücksichtigung des internationalen Luftverkehrs entsprechen.

[Eckpunktepapier: „Im Sektor Verkehr werden die CO2-Emissionen 
des internationalen Luftverkehrs separat nachrichtlich aufgeführt
und nicht mehr in die Bilanzierung einbezogen.“]

Ohne „Herausrechnung“ der CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs kommt Hamburg mit  der 65 % CO2-Reduzierung von Szenario B  in Tabelle 1 nicht über den Zielwert des Bundes-Klimaschutzgesetzes hinaus.

2. Annahmen für das Wachstum
des Bruttoinlandsprodukts von Hamburg

In dem von Prognos ausgearbeiteten Szenario A wurde für Hamburg im Zeitintervall zwischen 2020 und 2050 ein erstaunlich hohes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angenommen (Bild 1 und Tabelle 2). Das jährliche Wachstum des BIP zwischen 1990 und 2020 war viel geringer, als das für die Zukunft im Zeitraum von 2020 bis 2050 angenommene (Tabelle 2, abgeleitet aus Bild 1).

[Die Langfristszenarien des Bundeswirtschaftsministeriums rechneten 
im Jahr 2017 für 2030 bis 2050 mit einer preisbereinigten BIP-Wachstumsrate
von 0,7 % pro Jahr.  Ähnlich nahm Prognos für die deutsche Volkswirtschaft
im Jahr 2021 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 1,1 % pro Jahr an.]

Die durchschnittliche Wachstumsrate des preisbereinigten BIP lag nach den Werten in Bild 1 in Hamburg im Zeitintervall 1990 bis 2020 bei 0,56 % pro Jahr. Für das Zeitintervall 2020 bis 2050 wird dagegen ein BIP-Wachstum von 1,73 % pro Jahr angenommen, ein mehr als dreimal höherer Wert.

Bild 1: Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt), unten für Hamburg: Verlauf seit 1990 und Annahmen von 2020 bis 2050 (Prognos, Szenario A, Seite 22)
Tabelle 2: Wachstum des Bruttoinlandsprodukts über drei Jahrzehnte nach Bild 1 aus Szenario A

Die angenommene starke Zunahme des Wachstums des BIP kann nicht auf ein Wachstum der Bevölkerung in Hamburg zurückgeführt werden. Denn das angenommene Wachstum der Bevölkerung Hamburgs von etwa 10 % zwischen 2020 und 2050, das auf eine Bevölkerungsprognose von Statistik Nord zurückgeführt wird, unterscheidet sich kaum vom bisherigen Bevölkerungswachstum zwischen 1990 und 2020 (Bild auf Seite 22 von Szenario A).

Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerung sind Treiber des Verkehrs. Das angenommene hohe Wachstum des BIP wirkt sich daher direkt auf die Zunahme des Güterverkehrs aus (Tabelle 3). Das macht auffallend starke Wachstumsraten der Bruttowertschöpfung für den Wirtschaftszweig „Verkehr, Nachrichten“ im Zeitintervall 2020 bis 2050 im Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD) verständlich.

Tabelle 3: Bruttowertschöpfung in Hamburgs Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD) nach ausgewählten Wirtschaftszweigen in Mrd. Euro (2015) (Szenario A, Bild auf Seite 29)

Viele Studien gehen von einer Steigerung des internationalen Güterverkehrs proportional zu einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts aus, beispielsweise Agora KN2045, Jülich TS2045 und BDI 2021.

In dem vom UBA schon im November 2019 veröffentlichten RESCUE-Szenario GreenSupreme (Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität) wurde dagegen ab 2030 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von Null angenommen.

Die Annahme eines künftigen Wachstums des BIP in einer Größenordnung wie in den Hamburger Klimaschutz-Szenarien ist fragwürdig. Denn sie erschwert Fortschritte nicht nur beim Klimaschutz und bei der Reduzierung des Energiebedarfs, sondern auch bei der Ressourcenschonung, die mit dem Klimaschutz verbunden sind ist. Der Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme von Rohstoffen und den Treibhausgasemissionen ist in Bild 2 symbolisch dargestellt.

Der Deutsche Erdüberlastungstag fiel im laufenden Jahr schon auf den 4. Mai. Deutschland hat an diesem Tag alle Ressourcen verbraucht, die ihm für dieses Jahr zustehen. Die verbleibenden 241 Tage bis zum Jahreswechsel lebt die Bundesrepublik Deutschland also über ihre Verhältnisse.

Bild 2: Rohstoffeinsatz und Treibhausgase (Bildquelle: UBA, RESCUE-Studie)

3.  Energieverbrauch und CO2-Emissionen Hamburgs
in den Klimaschutz-Szenarie
n

Welche Auswirkungen haben die Annahmen für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Hamburg im Einzelnen? Welche Alternativen gibt es?

Bild 3 zeigt den Endenergieverbrauch Hamburgs nach dem Szenario B. Gemäß § 4 des Entwurfs der Bundesregierung zum Energieeffizienzgesetz (EnEfG) soll der Endenergieverbrauch der BRD zwischen 2008 und 2030 um mindestens 26,5 % sinken. Für Hamburg ergeben sich jedoch nach den projektierten Werten nur 23,2 % (Tabelle 4). Im darauf folgenden Zeitraum bis 2045 wird der Unterschied noch größer. Anstelle von 45 % nach dem EnEfG soll bis dahin nur eine Einsparung um 38,6 % erreicht werden.

Bild 3: Jährlicher Endenergieverbrauch bzw. -bedarf in Hamburg von 1990 bis 2045 (nach Daten aus Szenario B einschließlich Luftverkehr)
Tabelle 4: Sinken des Endenergiebedarfs gegenüber 2008 gemäß dem Entwurf des Energieeffizienzgesetzes (EnEfG) und im Szenario B für Hamburg nach Bild 3

Nach Bild 4 werden die notwendigen Energieeinsparungen vor allem wegen des Sektors Verkehr so deutlich verfehlt. Der Endenergiebedarf im Sektor Verkehr, der einen CORONA-bedingten Rückgang bei 2020 enthält, sinkt laut Tabelle 5 zwischen 2008 und 2045 nur um 17 % statt um 45 %. Nur wenn der internationale Luftverkehr „herausgerechnet“ wird wie in Tabelle 1, sinkt der Endenergiebedarf von 2008 bis 2030 um 16 % und bis 2045 um 43 %. Auf den Sektor Verkehr wird daher im Folgenden im Detail einzugehen sein.

Unter dem Zielwert von 45 % für 2045 liegen die Senkungen des Endenergiebedarfs auch im Sektor Privathaushalte (PHH) mit 30 % und im Sektor GHD mit 40 % (Bild 5, Tabelle 5). Nur im Sektor Industrie werden mit 42 % für 2030 und mit 62 % für 2045 die Zielwerte für Energieeinsparungen übertroffen.

Zum Vergleich: In den „Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland, Gebäudesektor“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz liegt die Verbrauchsminderung in dem auf Strom und Wärmepumpen orientierten Szenario bei 48 % gegenüber 2008, wenn Umweltwärme und Solarthermie mitgezählt werden (T45-Strom, Seite 18).

Bild 4: Jährlicher Endenergieverbrauch bzw. -bedarf in Hamburg nach Sektoren von 1990 bis 2045. Die Daten zwischen 1990 und 2020 stammen vom Statistikamt Nord. Der weitere Verlauf zeigt projektierte Werte aus Szenario B unter Berücksichtigung des gesamten Luftverkehrs.
Bild 5: Endenergiebedarfe für die Sektoren Haushalte und GHD (Szenario B, Seiten 79 und 107)
Tabelle 5: Senkung des Endenergiebedarfs 2030 bzw. 2045 gegenüber 2008 im Entwurf des Energieeffizienzgesetzes (EnEfG) und für unterschiedliche Sektoren in den Klimaschutz-Szenarien Hamburgs

Aus den erwarteten Endenergiebedarfen und den Energiequellen für ihre Deckung lassen sich die zugehörigen CO2-Emissionen berechnen.

Bild 6 stellt die projektierte Entwicklung der CO2-Emissionen von Hamburg zwischen 1990 und 2045 dar, aufgeschlüsselt nach Sektoren. Auffällig ist auch hier, dass die CO2-Emissionen des Sektors Verkehr im Unterschied zu den Emissionen der anderen Sektoren erst nach 2030 deutlich abnehmen. Das ist zum Teil auf das hohe Wachstum des Verkehrs in Kombination mit einer zu geringen Senkung des Endenergiebedarfs zurückzuführen, wie aus Daten in Tabelle 5 hervorgeht.

Bild 6: Jährliche CO2-Emissionen von Hamburg nach Sektoren von 1990 bis 2045, einschließlich Luftverkehr (bis 2020 nach Daten des Statistikamts Nord, das mit der CO2-Verursacherbilanz rechnet; weiterer Verlauf nach projektierten Emissionswerten aus dem Szenario B)

4. Wachsende Verkehrs-Emissionen
in den Klimaschutz-Szenarien für Hamburg

Die CO2-Emissionen des Verkehrssektors sinken von 3,76 Mio. t im Jahr 2020 nur auf 3,35 Mio. t im Jahr 2030. Bild 7 erklärt im Einzelnen, wo die energiebedingten CO2-Emissionen im projektierten Sektor Verkehr zwischen 2020 (ganz links) und 2030 (ganz rechts) ansteigen statt zurückzugehen. Neben Minderungen (braun) beim motorisierten Straßenverkehr (MIV) und durch den Einsatz von grünem Strom anstelle von fossilen Treibstoffen gibt es Anstiege (blau) im Straßengüterverkehr, vor allem aber beim Flugverkehr.

Bild 7: Vergleich der CO2 -Emissionen des Verkehrs in 2020 und in 2030 (Szenario B, Seite 155)

Die Szenarienbildung für den Sektor Verkehr folgt nach Angaben auf Seite 112 von Szenario B dem Klimaplan 2019. Als „Datengrundlage wurde das dem Luftreinhalteplan zugrundeliegende Szenario für den straßengebundenen Verkehr genutzt. Die Daten für U- und S-Bahn basieren auf Verkehrsprognosen der HOCHBAHN, für den Luftverkehr auf Prognosen des Flughafens und für den Seeverkehr auf Prognosen des Hafens“ (Seite 112).

Offensichtlich geht es also bei den Annahmen für Szenario B um ein „Weiter wie bisher“ (Business-as-usual (BAU)). Der bisherige Trend für den Verkehr wurde einfach in die Zukunft fortgesetzt oder sogar von Lobby-Organisationen übernommen. Die Datenquellen, auf die sich die Szenarienbildung stützt, sind zudem veraltet. Denn sie stammen aus den Jahren 2014 und 2016/7. Die Blockade des Klimaschutzes im Sektor Verkehr, die gegenwärtig im Mittelpunkt der Kritik am Bundesverkehrsministerium steht, wurde als Datengrundlage nach Hamburg übernommen: „Weitere Datengrundlagen waren angepasste Durchschnittswerte des Bundes für den Schienenverkehr und die Energieszenarien der Bundesregierung für die Effizienzentwicklung auf Straße und Schiene sowie den Wechsel der Antriebstechnologien.“ (Szenario B, Seite 112)

Im Eckpunktepapier, der unmittelbaren Grundlage für die Novellierung des Hamburger Klimaschutzgesetzes, wird n Übereinstimmung mit Bild 7 zusammengefasst (Seite 30): „Die Fahrleistung im Motorisierten Individualverkehr (MIV) soll bis 2045 um 28 Prozent gegenüber 2020 sinken. Im Straßengüterverkehr, im Busverkehr und im Schienenverkehr werden Zuwächse der Fahrleistung zu verzeichnen sein. Der Flugverkehr (national und international) soll laut Prognose insgesamt um 3,7 Prozent pro Jahr zunehmen. Durch die erwartbaren Verkehrszunahmen wäre bis 2030 theoretisch mit einer deutlichen Zunahme der CO2-Emissionen um mehrere hunderttausend Tonnen zu rechnen.“

Quantitativ wird aus Bild 8 ersichtlich, dass sogar bei einem Vergleich zwischen 2020 und 2045 bei Teilen des Busverkehrs und des Straßengüterverkehrs noch ein Anstieg der CO2-Emissionen zu beobachten ist (blau).

Bild 8: Vergleich der CO2 -Emissionen des Verkehrs in 2020 und in 2045 (Szenario B, Seite 157)

Dass die übermäßige Höhe der Verkehrsemissionen (Bild 5) am angenommenen Wachstum liegt, wird auf Seite 32 des Eckpunktepapiers bestätigt: „Bei der Hebelmaßnahme Transportmittelwechsel im Wirtschaftsverkehr und Ausbau des klimafreundlichen Wirtschaftsverkehrs ist im Ergebnis bis 2030 und 2045 ein wachstumsbedingter Anstieg der CO2-Emissionen in diesem Verkehrssegment gegenüber 2020 zu verzeichnen.“

CO2-Neutralität soll schließlich zwischen 2030 und 2045 durch den massiven Einsatz von grünem Strom im Straßenverkehr und von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) im Binnenschiffs- und Luftverkehr erreicht werden. „Diese Emissionen können durch die weiteren Hebelmaßnahmen Elektrifizierung der Fahrzeugflotten, Nutzung von H2/E-Fuels und Verringerung des Emissionsfaktors Strom überkompensiert werden.“ so wiederum das Eckpunktepapier. Die braunen Balken im rechten Teil von Bild 8 zeigen das Ausmaß. Kaum etwas davon kann in Hamburg selbst gewonnen werden.

5. Stark wachsender Luftverkehr
in den Klimaschutz-Szenarien für Hamburg

Der Straßen- und Schwerlastverkehr nimmt nach Bild 9 in dem von Hamburg gewählten Szenario B bis 2045 meist weniger stark ab als im Szenario A. Beim Luftverkehr nahm Prognos im Szenario Akein Wachstum“ an, in Szenario B wurde dagegen eine hohe jährliche Zunahme um 3,7 % angesetzt (Bild 9). Für ein lineares Wachstum bedeutet das eine Verdoppelung des Luftverkehrs von 2020 bis 2045, dem Jahr, in dem Hamburg CO2-Neutralität erreichen soll. Noch stärker wächst der Luftverkehr in diesem Zeitraum bei einem exponentiellen Wachstum wie in Bild 10.

Bild 9:  Szenario B ist im Sektor Verkehr weniger ambitioniert als Szenario A. Beim Luftverkehr wurde in Szenario B ein starkes Wachstum angenommen (unterste Zeile) (Szenario B, Seite 164)
Bild 10: Entwicklungsprognosen des Luftverkehrsaufkommens von 2021 bis 2039 (IATA = International Air Transport Association, ICAO = International Civil Aviation Organization) (Quelle: Nachhaltige Flugkraftstoffe, aireg – Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V., Dezember 2020)

Die Wachstumsrate 3,7 % pro Jahr (Seite 140 in Szenario B) findet sich auch in einer Studie von aireg – Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. zu nachhaltigen Flugkraftstoffen, aus der die graphische Darstellung in Bild 10 stammt.

„Der Dachverband der Fluggesellschaften (International Air Transport Association, IATA) prognostiziert ein jährliches Luftverkehrswachstum von rund 3,7 % zwischen 2019 und 2039; dies entspricht in etwa einer Verdopplung in den kommenden beiden Jahrzehnten (Abb. 2) – mit dem damit verbundenen Anstieg der energiebedingten Klimagasemissionen.“

Ähnlich geht die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO davon aus, dass der Kerosinverbrauch bis 2050 im Vergleich zu 2015 um das 2,4 bis 3,8-Fache steigen wird – je nachdem, wie viel effizienter Flugzeuge weiter werden. 2018 gab es mehr als 4,3 Milliarden Passagierinnen und Passagiere, das sind zweieinhalb Mal so viele Fluggäste wie noch im Jahr 2000. Für das Öko-Institut ergibt sich aus den Daten der ICAO weltweit sogar fast vier Mal so viel Luftverkehr im Jahr 2050 wie im Jahr 2015.

Solchen Vorhersagen, die in die Annahmen des Hamburg Instituts für das Luftverkehrswachstum in Szenario B eingingen, ist jedoch gegenüberzustellen, dass Hamburg Airport selbst bei einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses für öffentliche Unternehmen am 25. Januar 2023 viel bescheidenere Wachstumsraten bis 2030 vorstellte (Bild 11). Die als „Base Case“ bezeichnete Kurve zeigt eine Wachstumsrate von 2,0 % pro Jahr statt 3,7 %. Dazu wird im Bild festgestellt „Rückkehr auf frühere Wachstumsrate von +3,5 % nicht mehr erreichbar.“ Ähnliche geringere Wachstumsraten sind bei EUROCONTROL zu finden.

Bild 11: Frühere Wachstumsrate für die Luftverkehrsentwicklung aus Sicht von Hamburg Airport nicht mehr erreichbar (Quelle: Drs. 22/22, Ausschuss für öffentliche Unternehmen, Seite 24)

In den für das Bundeswirtschaftsministerium ausgearbeiteten Langfristszenarien TN wächst der Luftverkehr sogar nur um 23 % zwischen 2020 und 2050 (Basisszenario, Tabelle 34). Der Endenergiebedarf verringert sich im gleichen Zeitraum um 7 %.

Prognos: kein Wachstum des Luftverkehrs, Hamburg Institut: hohes Wachstum von 3,7 % pro Jahr – was steckt dahinter?

58 % der Ausfuhren Hamburgs gehören zum Luftfahrtsektor. Der Senat äußert sich dazu widersprüchlich. Einerseits: „Vor allem Hamburgs Stärke als weltweit bedeutender Standort der zivilen Luftfahrtindustrie muss erhalten und ausgebaut werden.“ Andererseits: „Daraus ergibt sich ein einseitiges Schwergewicht auf einer Industriebranche (…) Das macht den Standort außenwirtschaftlich verletzlich.“ (Seite 64) Digitalisierung, Technologien zur Umsetzung der Energiewende, vor allem die Wasserstofftechnologie, sollen deshalb aus Sicht des Hamburger Senats stärker entwickelt werden.

Um trotz des projektierten starken Wachstums des Luftverkehrs CO2-Neutralität im Jahr 2045 zu erreichen, plant Szenario B den Einsatz von nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAF) in großen Mengen, mit denen der Flugzeug-Treibstoff Kerosin bis zum Jahr 2045 vollständig ersetzt werden soll (Bild 12, hellblau). Das steht in Übereinstimmung mit dem Zwischenbericht zum Umsetzungsstand 2022 des Hamburger Klimaplans, in dem berichtet wird, dass in Hamburg Flugzeuge so zügig wie möglich weitgehend mit nachhaltigem Treibstoff in Form von synthetischem Kerosin betankt werden sollen (Seite 84).

Bild 12: Endenergieverbrauch und CO2-Emissionen des Luftverkehrs international und national in Hamburg (Szenario B, Seite 140). Um CO2-Neutralität im Jahr 2045 zu erreichen, wird ein sehr starkes Wachstum eines „CO2-neutralen“ Ersatzes für Kerosin angenommen (hellblau). (SAF = Sustainable Aviation Fuels)

Wie Bild 12 zeigt, geht es darum, 2045 etwa doppelt so viel SAF bereitzustellen wie im Jahr 2018 Kerosin. SAF gibt es gegenwärtig nur in äußerst geringen Mengen. Ein zeitgerechter Hochlauf der Versorgung mit SAF im gewünschten Umfang und zu akzeptablen Preisen ist zweifelhaft. Szenario B auf Seite 140: „Bislang fehlt Fluggesellschaften der Anreiz für einen Umstieg. Dies kann sich bei steigenden Preisen für fossile Kraftstoffe zukünftig ändern.“ Erste Anfänge wurden mit Unterstützung der Umweltbehörde durch ein Konsortium „Green Fuels Hamburg“ schon in Angriff genommen.

Allein in Deutschland werden jährlich rund zehn Millionen Tonnen Kerosin verflogen. Das Konsortium „Green Fuels Hamburg“ will ab 2026 10.000 Tonnen SAF herstellen, ein Tausendstel davon. Nach Planungen der EU-Kommission soll im Januar 2025 der an europäischen Flughäfen getankte Treibstoff einen SAF-Mindestanteil von zwei Prozent aufweisen. Bis 2050 soll dieser Anteil auf 63 Prozent steigen. In Hamburg soll aber nach Bild 12 im Jahr 2045 schon 100 Prozent SAF getankt werden.

Bild 13: CO2-Emissionen des gesamten Verkehrs (blau) und des Flugverkehrs in Hamburg (rot) (Quellen: Szenario B, Seite 140; Gesamtergebnis Szenario A und B, Seite 7)

Für die CO2-Emissionen hätte die starke Zunahme des Luftverkehrs bei langsamer Abnahme des Straßen- und Schwerlastverkehrs zur Folge, dass wie in Bild 13 die relative Bedeutung des Luftverkehr-Anteils am gesamten Sektor Verkehr zunimmt, wenn die Antriebe mittelfristig vor allem auf grünen Strom gestützt werden.

Für das Jahr 2020 gibt Szenario B als Anteile zu den CO2-Emissionen im Sektor Verkehr an: 12 % von Kerosin, 22 % von Benzin und 60 % von Diesel (Seite 118). Nach Daten in Szenario A und B (Seite 7) kommen im Jahr 2024 schon 17 % der CO2-Emissionen des gesamten Verkehrssektors in Hamburg einschließlich des gesamten Flugverkehrs vom internationalen Flugverkehr. Im Jahr 2040 würden es 48 % sein. Allein die CO2-Emissionen des internationalen Flugverkehrs wären dann erheblich größer als diejenigen der Sektoren Industrie und GHD und fast so groß wie die CO2-Emissionen des Sektors Haushalte.

Auch wenn es gelingen würde, SAF in den angesetzten großen Mengen bereitzustellen, würde ein Absenken der CO2-Emissionen des Flugverkehrs im Jahr 2045 auf null bei weitem nicht bedeuten, dass der brennstoffbetriebene Luftverkehr keine klimaschädliche Wirkungen mehr hätte. Zur gesamten Wirkung des Luftverkehrs auf das Klima weiß auch die aireg-Studie auf Seite 21:

„Eine umfangreiche internationale Studie zeigt, dass nur rund ein Drittel der Klimawirkung des Luftverkehrs auf CO2-Emissionen entfällt und zwei Drittel auf Nicht-CO2-Effekte. Im Rahmen der letztgenannten Effekte sind Kondensstreifen und daraus resultierende Kondensstreifen-Zirren ein wesentlicher, das Klimageschehen beeinflussender Faktor. Deshalb führt aufgrund derartiger Nicht-CO2-Effekte auch die Verwendung von emissionsarmen oder potenziell „emissionsfreien“ Flugkraftstoffen (z. B. PtL SAF) auch zu einer klimaerwärmenden bzw. strahlungsverstärkenden Wirkung, wenn auch in einem begrenzteren Ausmaß im Vergleich zum Einsatz von Kerosin aus fossilem Rohöl [aireg 2020].“

Auch die zusätzliche Klimaschädigung durch die Freisetzung von Ruß, der in der Atmosphäre klimawirksam ist und am Boden zu negativen Gesundheitseffekten führen kann, kennt diese Studie.

Hier wird sehr klar, wie weit sich CO2-Neutralität (Ziel in Hamburg), Treibhausgas-Neutralität (Ziel des Bundes-Klimaschutzgesetzes) und Klimaneutralität unterscheiden können!

Die im Jahr 2040 durch den Luftverkehr in Hamburg hervorgerufene Klimaschädigung wäre trotz SAF ähnlich groß wie die aller anderen Sektoren, wenn man die gesamte Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs in Rechnung stellt.

Bild 14: Symbolische Darstellung des Lebenszyklus biogener Flugkraftstoffe (Quelle: Nachhaltige Flugkraftstoffe, aireg, Dezember 2020)

Sogar die CO2-Neutralität von sustainable aviation fuels (SAF) ist fragwürdig. SAF biogenen Ursprungs sind nur insoweit potenziell „emissionsfreie“ Flugkraftstoffe, wie den verwendeten nachwachsenden Rohstoffen CO2-Freiheit bescheinigt werden kann (Bild 14).

Um sich in der Hamburger Klimabilanz der CO2-Emissionen zu entledigen, die nach Bild 13 erst nach 2035 deutlich abnehmen, wurde im Eckpunktepapier für die zweite Fortschreibung des Hamburger Klimaplans unter Berufung auf die nationale Berichterstattung im Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar entschieden, dass in der Hamburger Klimabilanz nur noch die CO2-Emissionen des nationalen Flugverkehrs gezählt werden (Seite 17). Die um einen Faktor sechs größeren CO2-Emissionen des internationalen Flugverkehrs sollen „herausgerechnet“ und nur noch nachrichtlich angegeben werden. Für die Summe aus internationalem und nationalem Flugverkehr wurde wie in Bild 12 in Szenario B ein Bedarf von 24,1 PJ für „emissionsfreie“ Flugkraftstoffe (SAF) im Jahr 2045 angegeben (Seite 140). Für den nationalen Flugverkehr waren es nur 3,4 PJ (Seite 141). Daher bleibt auch das Verlagern von Kurzstreckenflügen auf die Bahn von begrenzter Wirkung.

Mit dem „Herausrechnen“ des wachsenden internationalen Luftverkehrs aus der Verursacherbilanz für Hamburg sind die entsprechenden Emissionen für das Hamburger Klimaschutzgesetz nicht mehr von Interesse. Da verwundert es nicht, dass der Teil des HmbKliSchG, der den Verkehr betrifft, sehr schmal ist.

Von Bedeutung ist letztlich auch, dass der innerdeutsche Luftverkehr nach Informationen des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) sinkt: „Anders als im internationalen Luftverkehr wächst die Nachfrage im innerdeutschen Verkehr nicht – zwischen 2011 und 2019 ist die Zahl der Flüge um 16 Prozent zurückgegangen.“

 

Die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erfordern, alle durch Menschen hervorgerufenen Treibhausgasemissionen bis 2050 auf nahezu null zu reduzieren.

Da das beim Luftverkehr besonders schwierig ist, hat das Umweltbundesamt (UBA) 2019 eine Studie veröffentlicht, in der eine Strategie für den umweltschonenden Luftverkehr der Zukunft beschrieben wird. Dabei werden konkrete umwelt- und verkehrspolitische Ziele genannt, die in einem ersten Schritt bis 2030 und dann vollständig bis 2050 erreicht werden sollen. Diese Strategie umfasst acht zentrale Bausteine (Bild 15). Der letzte Baustein heißt „Weniger Fliegen“.

Auch das Öko-Institut betonte, dass die CO2-Emissionen aus dem Luftverkehr auf null gesenkt werden und die Wirkung von Nicht-CO2-Effekten stark reduziert werden müssen, damit die Klimaziele wirklich eingehalten werden können. Dazu braucht man eine Kombination von unterschiedlichen Maßnahmen. „Der einfachste und effektivste Weg für Klimaschutz im Luftverkehr ist natürlich die Vermeidung von Flügen.“

Im Februar 2023 wurde in der Schriftenreihe „Energiesysteme der Zukunft“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina eine Analyse der ESYS-Arbeitsgruppe „Szenarien für ein klimaneutrales Deutschland“ veröffentlicht. Anhand eines Vergleichs aktueller Energieszenarien und eigener Modellrechnungen ging es um die Frage, welche Treibhaus-Minderungspfade für die verschiedenen Sektoren nötig sind, um die deutschen und europäischen Klimaziele zu erreichen.

Ein Fokus der Untersuchungen lag darauf, inwieweit Änderungen auf der Nachfrageseite den Druck auf den Ausbau erneuerbarer Energien und Wasserstofftechnologien reduzieren können. Neben Effizienzsteigerungen wurde dabei auch Suffizienz in den Blick genommen, somit auch Strategien zur Reduzierung der Nachfrage nach Energiedienstleistungen. Dieser Bereich wurde bisher in vielen Studien ausgeklammert, aus Sicht dieser Arbeitsgruppe ist er aber von zentraler Bedeutung.

In den meisten von ESYS analysierten Studien blieb der Flugverkehr nach Personenkilometern in Zukunft nahezu konstant – im Gegensatz zu den Klimaschutz-Szenarien für Hamburg. Auch in den UBA-Szenarien GreenLife und GreenSupreme stagnierte der Luftverkehr bis 2030 und sank dann bis 2045 auf null ab, da der innerdeutsche Luftverkehr vollständig auf die Bahn verlagert wurde.

Das Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) „Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern“ (Mai 2023) stellt die rechtzeitige Versorgung mit SAF in Frage und verweist auf Aufgaben der Politik zur Reduzierung der Nachfrage nach Flugreisen: „In manchen Bereichen, so etwa im Flugverkehr, genügen vorhandene technologische Lösungen (Umstieg auf synthetische Kraftstoffe sowie Effizienzgewinne) angesichts des kurzen Zeitfensters zur Erreichung der Klimaziele nicht, insbesondere da die Branche derzeit weiterhin wächst und die absoluten Emissionen steigen. Daher sind politische Maßnahmen erforderlich, die die Nachfrage nach Flugreisen senken.“

Bild 15: Acht Bausteine des Umweltbundesamts für einen umweltweltschonenden Luftverkehr (Quelle: UBA 2019)

6. Der Gebäudesektor,
abhängig von einer konsequenten Elektrifizierung

Erdgas und Heizöl, die gegenwärtig die dezentrale Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser dominieren, sowie Fernwärme, die überwiegend mit Steinkohle erzeugt wird, sollen in Hamburg bis 2045 durch Umweltwärme, die mit Strom gewonnen wird, und durch klimafreundlichere Fernwärme ersetzt werden (Bild 16, noch bis 2050, da aus Szenario A).

Unerlässliche Voraussetzung für die angestrebte Verminderung der CO2-Emissionen ist dabei, dass der in Hamburg eingesetzte Strommix bis 2030 zu 80 % und bis 2045 vollständig CO2-neutral erzeugt wird.

Bild 16: Raumwärmeerzeugung für Privat-Haushalte (PHH) (Szenario A, Seite 29). Umweltwärme nimmt zusammen mit dem Antriebsstrom für die Wärmepumpen bis 2050 stark zu (40 %), ebenso Fernwärme (56 % im Jahr 2050). Den Rückgang der Erdgas-Nutzung muss das Unternehmen Gasnetz Hamburg mit der Stilllegung von Teilen des Gasnetzes unterstützen.

In Bild 17 ist erkennbar, dass in Szenario B von der Gebäudesanierung in Verbindung mit einer erheblichen Verbesserung der Sanierungstiefe im Jahr 2045 im Vergleich zu 2020 nur eine CO2-Verminderung um 0,574 Mio. t CO2 pro Jahr erwartet wird. Das ist weniger als die Kombination aus der vollständigen Einführung von Wärmepumpen und der Dekarbonisierung der Fernwärme. Mehr soll vor allem die Dekarbonisierung der stromverbrauchenden Geräte beitragen (Waschmaschinen, Kühlgeräte, Herde, Computer etc. und wohl auch Wärmepumpen). Diese Feststellungen korrespondieren damit, dass für den Sektor Gebäude nur eine Verbesserung der Effizienz von 30 % bis 2045 gegenüber 2008 vorgesehen wurde, die erheblich unter dem Ziel von 45 % des Energieeffizienzgesetzes liegt (siehe Tabelle 5).

Bild 17: CO2-Minderungspfad für den Sektor Haushalte (PHH) in Hamburg. Vergleich von 2020 mit 2045 (Szenario B, Seite 110).

In Szenario B wurde eine Sanierungsrate angenommen, die von gegenwärtig etwa 1 % bis 2030 auf 2,0  % steigt und dann etwa diese Höhe beibehält (Seite 70). Annahmen für ähnliche Sanierungsraten finden sich in der dena-Leitstudie (Seite 44). Sehr ambitionierte Annahmen zur Effizienzsteigerung im Gebäudesektor sind im UBA-Szenario GreenSupreme enthalten, wo die Sanierungsrate von 2,5 Prozent im Zeitraum 2021 bis 2030 bis auf 3,9 Prozent in 2041 bis 2050 ansteigt (Tabelle 16).

Bild 18: Fernwärme: Müllverbrennung als konstanter Sockel (Bedarf in GWh pro Jahr; CO2-Emissionen in Kilotonnen pro Jahr) (Prognos, Szenario A, Seite 42).

Bild 18 zeigt oben die Zunahme des in Szenario A angenommenen Fernwärmebedarfs in Hamburg von 5870 GWh pro Jahr im Jahr 2020 auf 7570 GWh pro Jahr im Jahr 2050. Zu den zugehörigen CO2-Emissionen wird erläutert: „Die Emissionen der Wärmeerzeugung aus der Abfallverbrennung bewegen sich ab 2025 auf einem Sockel von 0,5 Mio. t.“ (blau in Bild 18).

Nach Angaben der Hamburger Energiewerke (HEnW) soll nach der Fertigstellung des Zentrums für Ressourcen und Energie (ZRE) und des Fernwärme-Elbtunnels zum Anschluss des Energieparks Hafen, der die Belieferung mit Fernwärme von der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm ermöglicht, die Hälfte der Fernwärme im zentralen Fernwärmenetz durch Wärme aus der Müllverbrennung gedeckt werden. Wird die pauschal angenommene biogene Hälfte hiervon als CO2-neutral bewertet, so bleibt dieser „Sockel“ von 0,5 Mio. t CO2 pro Jahr. Szenario B macht ähnlichen Annahmen auf Seite 75.

Wie der CO2-Sockel in Bild 18 zeigt, gehen die Klimaschutz-Szenarien davon aus, dass die Verbrennung von Restmüll in Hamburg bis zum Jahr 2045 nicht durch mehr Recycling und Dekarbonisierung des Abfalls reduziert wird. Aus welchen Gründen?

Zum Vergleich: Zwischen 1985 und 2018 konnte die Hausmüllmenge aus privaten Haushalten um 46 % reduziert werden, von 239 kg auf 128 kg pro Einwohner:in und Jahr (UBA 2020, Abbildung 22).

Abfallvermeidung wie im Abfallvermeidungsprogramm des Bundes unter Beteiligung der Länder oder die Förderung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, wie sie in einem „circular hub nord“ von der Hamburger Umweltbehörde im März 2023 eingerichtet wurde, wird von den Klimaschutz-Szenarien nicht beachtet. Dabei liegt Hamburg bei der Abfuhr von Restmüll mit 202 kg pro Kopf und Jahr bundesweit mit an der Spitze.

Im Zwischenbericht zum Umsetzungsstand 2022 des Hamburger Klimaplans wird festgestellt, „die Restmüllmenge von 439 Tsd. Mg soll weiter deutlich reduziert werden“ (Seite 103). Der Geschäftsführer der Stadtreinigung Hamburg Prof. Siechau gab Ende 2021 aus Anlass von „Zehn Jahre Recyclingoffensive“ an, die Restmüllmenge pro Kopf in Hamburg sei in 10 Jahren um mehr als 17 Prozent gesenkt worden, um 72.000 Tonnen pro Jahr.

Das UBA-Szenario GreenSupreme weist darauf hin, dass für die Herstellung von Verpackungen frühzeitig auf fossile Rohstoffe zugunsten von synthetischen Rohstoffen verzichtet werden sollte, damit die spätere Entsorgung der Reststoffe in Verbrennungsanlagen weniger CO2 emittierten würde (Seite 54).

Der „CO2-Sockel“ der Klimaschutz-Szenarien für Hamburg würde sich also sicherlich reduzieren lassen. Dazu müssten aber die Rahmenbedingungen für umweltfreundliches Verhalten, hier Abfallvermeidung, von der Politik verbessert werden, so das Sondergutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) „Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern“.

Stattdessen schließen sich die Klimaschutz-Szenarien den Plänen der Hamburger Energiewerke (HEnW) an, in absehbarer Zeit die Hälfte der Fernwärme mit „unvermeidbarer Abwärme“ aus der Müllverbrennung zu produzieren. Um dieser Fernwärme eine klimafreundliche Perspektive zu verleihen, soll nach dem Referentenentwurf zur Änderung des Hamburger Klimaschutzgesetzes die gesamte Wärme aus der Müllverbrennung als „erneuerbar“ „anerkannt“ werden (§ 10 Absatz 2).

Dazu hat sich der hochkarätig besetzte Klimabeirat Hamburg in seiner Stellungnahme zur Novellierung des Hamburger Klimaschutzgesetzes folgendermaßen geäußert:

„Für § 10 Abs. 2 empfiehlt der Klimabeirat, unvermeidbare Abwärme bzw. Abwärme aus der Abfallbehandlung der erneuerbaren Energie „gleichzustellen“. Die benannte Abwärme ist jeweils keine erneuerbare Energie und kann somit nicht als solche „anerkannt“ werden.“

Sollte ein sehr geschätzter Klimabeirat nicht in der Lage sein, ehrlich die tatsächliche Klimabelastung zu erkennen und zu benennen?

Da in der Verursacherbilanz die CO2-Emissionen des nicht-biogenen Anteils der Müllverbrennung nicht verschwinden, schlägt das Eckpunktepapier auf Seite 32 vor, diese in einen eigenen Sektor „Abfall- und Abwasserwirtschaft“ zu verlagern (Klimaneutralität und Emissionsbilanzierung, Punkt 6 auf Seiten 30 und 34), was die Fernwärmelobby AGFW schon seit langem propagiert. Auf Bundesebene werden bei der nationalen Berichterstattung im Sektor Abfallwirtschaft aber keine CO2-Emissionen aus der Abfallverbrennung, sondern vor allem Nicht-CO2-Emissionen (CH4-, N2O-Emissionen) eingeordnet. Emissionen aus der Abfallverbrennung werden im nationalen Treibhausgasinventar dem Kapitel Energie zugeordnet.

7. Was leistet Hamburg bei der Dekarbonisierung selbst?

Die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) stellte bei der Vorstellung der „fachlich-wissenschaftlichen Szenarien“ fest: „Die Freie und Hansestadt Hamburg erhöht ihre Anstrengungen beim Klimaschutz und hat das Ziel, gegenüber dem Jahr 1990 bis zum Jahr 2030 seine CO2-Emissionen um 70 % zu reduzieren.“ („seine“ statt „ihre“ im Original)Nach Tabelle 1 auf Seite 3 erreicht Hamburg diese höhere Reduzierung der CO2-Emissionen im Jahr 2030 um 70 % allerdings nur dadurch, dass der von Hamburg aus startende internationale Luftverkehr aus der Klima-Bilanzierung ausgeschlossen wird. Würde er berücksichtigt, indem die CO2-Emissionen des in Hamburg getankten Kerosins mitgerechnet würden – was die in Hamburg gewählte Verursacherbilanz durchaus zulässt, dann wären es nur 65 % und damit nicht mehr als es auch das Bundes-Klimaschutzgesetz vorsieht. Dabei betrachtet der Bund alle Treibhausgasemissionen aller Sektoren, während sich die Zieldefinition Hamburgs auf die energiebezogenen CO2-Emissionen in den Sektoren der Verursacherbilanz beschränkt.

Aus diesem Reduzierungsziel um 65 % geht allerdings nicht hervor, wieviel Hamburg für den Klimaschutz selbst leisten möchte und wieviel es nach außen auf andere zu verlagern gedenkt. Die Klimaschutz-Szenarien gehen auf diese Frage nicht ein. Hier sollen wenigstens einige Hinweise für die Beantwortung dieser Frage gegeben werden.

In den Sektoren Energie und Verkehr ist für Hamburg von überragender Bedeutung, dass der nach Hamburg importierte Strom immer grüner wird – zu 80 % im Jahr 2030 und emissionsfrei im Jahr 2045. Im Jahr 2019 wurden in Hamburg bei einem Stromverbrauch von 11,7 TWh mit 0,65 TWh brutto nur 5,5 Prozent erneuerbaren Stroms selbst erzeugt. Dass Hamburg gegenwärtig versucht, seine eigenen Beiträge zu erneuerbarem Strom durch mehr Wind- und Photovoltaik-Anlagen im Stadtbereich zu erhöhen, ändert an diesem geringen Anteil wenig. In Zukunft wird der Strombedarf Hamburgs durch Wärmepumpen anstelle von fossilen Heizungen, durch Elektro-Kraftfahrzeuge statt Verbrennern und durch die Erzeugung von Wasserstoff und H2-Derivaten aus grünem Strom ganz erheblich wachsen. Durch höhere Anstrengungen bei Effizienz und Suffizienz könnte Hamburg den Stromimport begrenzen. Das enorme Wachsen des Bruttoinlandsprodukts, das den Klimaschutz-Szenarien zugrunde gelegt wurde, weist jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Und auch die Annahmen für Fortschritte bei der Energieeffizienz bleiben erheblich unter den durch das Energieeffizienzgesetz vorgegebenen Zielwerten (Tabelle 4).

Das Wachstum des Straßen- und des Flugverkehrs, wie ihn die Klimaschutz-Szenarien vorsehen, ist nützlich für Hamburgs Steuereinnahmen und im Fall des Flughafens auch für finanzielle Gewinne der Stadt. Die notwendigen Anstrengungen für die Begrünung des eingesetzten Stroms werden weitgehend auf die umliegenden Bundesländer und auf Importe verlagert.

Zwischen 2030 bis 2045 lassen die Klimaschutz-Szenarien neben grünem Strom auch Wasserstoff und E-Fuels einschließlich E-Kerosin in einem Umfang zunehmen, dass bis 2045 fast alles CO2-frei ist. Wer diese Energieträger liefern soll, wird nicht gefragt. Es wird unterstellt, dass sie lieferbar und bezahlbar sein werden.

Der großzügige Umgang mit den Hoffnungsträgern emissionsfreier Strom und Wasserstoff zu Preisen, die sich kaum vorhersagen lassen, führt auf Widersprüche zum Hamburger Klimaschutzgesetz. Denn dieses schreibt in der Zielsetzung des § 2 „eine möglichst sparsame, rationelle und ressourcenschonende sowie eine umwelt- und gesundheitsverträgliche Erzeugung, Verteilung und Verwendung von Energie im Rahmen des wirtschaftlich Vertretbaren“ vor. Die Kosten für energetische Sanierungen lassen sich verlässlich kalkulieren, die Kosten von grünem Wasserstoff, von E-Diesel und E-Kerosin für einen immer weiter wachsenden Luftverkehr dagegen nicht.

Der Vorschlag des „Eckpunktepapiers“, die CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs an Hamburgs Flughäfen nur noch nachrichtlich aufzuführen und nicht mehr in die CO2-Bilanzierung einzubeziehen, könnten damit gerechtfertigt werden, dass nicht nur Reisende aus der Stadt Hamburg, sondern aus einem größeren Bereich um Hamburg herum zu internationalen Flughäfen fliegen. Die Leistungen, die die umliegenden Bundesländer zur Unterstützung der Dekarbonisierung Hamburg durch grünen Strom erbringen sollen, sind allerdings wesentlich größer.

Auch im Sektor Gebäude soll nach den Annahmen der Klimaschutz-Szenarien die Elektrifizierung die Wärmewende mit importiertem grünem Strom durch Wärmepumpen aller Größen vorantreiben. Effizienz und Suffizienz in Form von energetischen Sanierungen und Ressourceneinsparung sollen viel weniger zur Wärmewende beitragen als die Umstellung auf nichtfossile Energieträger.

Bei der Fernwärme orientieren sich die Klimaschutz-Szenarien in einem erstaunlichen Maß an den Interessen des Hamburger Senats als dem Besitzer des Fernwärmeunternehmens HEnW: Die Müllverbrennung soll in einigen Jahren die Hälfte der Fernwärme im Stadtnetz liefern. Sie soll per Klimaschutzgesetz vollständig als erneuerbar „anerkannt“ werden. Die CO2-Emissionen des nicht-biogenen Anteils sollen in einen eigenen Sektor „Abfall- und Abwasserwirtschaft“ verschoben werden, wo sie ignoriert werden können. Der „Sockel“ der CO2-Emissionen aus dem Abfallaufkommen soll bis 2045 nicht reduziert und dekarbonisiert werden. Die Verbrennung von Steinkohle im Heizkraftwerk Tiefstack soll ab 2030 durch die Verbrennung von Holzpellets ersetzt werden, obwohl der größte Teil davon aus dem Ausland importiert werden wird. Dass dabei die CO2-Emissionen nicht gesenkt werden, davor verschließen die Verantwortlichen ganz fest die Augen.

Die Gemeinsamkeiten in diesem Überblick sind nicht schwer zu erkennen: In dem bekannten Dreieck Ökologie, Ökonomie und Soziales bevorzugen die Klimaschutz-Szenarien und die daraus abgeleiteten Eckpunkte für den Klimaplan und die Novellierung des Klimaschutzgesetzes sehr stark die ökonomischen Vorteile für die Stadt Hamburg.

12. Mai 2023, Prof. Dr. Dietrich Rabenstein

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