Die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ setzte sich seit dem 21. Februar 2018 für einen baldigen und wohlbegründeten Ausstieg aus der Kohle-Verbrennung in Hamburg ein. Bis zum 8. Juni 2018 konnten viele AktivistInnen 22.494 Unterschriften für die geforderten Ergänzungen des Hamburger Klimaschutzgesetzes sammeln. Die Unterstützung der Hamburger Bevölkerung für einen schnellen Kohleausstieg war groß. Sogar die führenden Politiker der Hamburger Grünen unterschrieben.
Seit dem 29. Oktober 2018 liefen Verhandlungen der drei Vertrauensleute der Volksinitiative mit den Regierungsfraktionen der Hamburger Bürgerschaft – mit Kienscherf und Dr. Schaal von der SPD, mit Sparr und Tjarks von den Grünen sowie mit zahlreichen Behördenvertretern. Es ging darum, wieviel von den Forderungen der VI die rot-grünen Bürgerschaftsfraktionen übernehmen würden. Als Streitpunkte sahen die Vertrauensleute der VI selbst das Ende der Kohleverbrennung in Tiefstack bis 2025 und das Hinwirken auf das Kohle-Aus in Moorburg 2030 voraus.
Durch einen Beschluss der Bürgerschaft am 5. Juni 2019 wurde schließlich eine Einigung zwischen der Volksinitiative und den Regierungsfraktionen abgesegnet. Die Bürgerschafts-Drucksache 21/17287 enthält das Hamburgische Kohleausstiegsgesetz, mit dem das Hamburgische Klimaschutzgesetz verändert wurde.
♦ Was wurde erreicht, was nicht ohnehin von der rot-grünen Regierung Hamburgs beabsichtigt war?
Forderung 1: Keine Kohle-Wärme in städtischen Wärmenetzen nach dem 31.12.2025
Ergebnis 1: Der vollständige Kohleausstieg der Hamburger Fernwärme muss nun nicht in 7 Jahren, sondern erst spätestens in knapp 12 Jahren erfolgen. Den Kohleausstieg im Heizkraftwerk Wedel will Senator Kerstan ohnehin bis 2025 oder früher erreichen. Ein Kohleausstieg beim Heizkraftwerk Tiefstack wurde nur für spätestens 2030 zugesagt. Dabei stand vor dem Rückkauf des Fernwärmesystems durch Hamburg im Geschäftsplan der Wärmegesellschaft des Konzerns Vattenfall eine Umrüstung von Kohle auf Gas in Tiefstack schon für 2025. Im November 2017 hatte Senator Kerstan einen Ausstieg aus der Kohleverbrennung im Hamburger Fernwärmenetz bis 2025 zugesagt. Das Kraftwerk Wedel sollte im Frühjahr 2022 vom Netz gehen.
Ganz anders jetzt: Ein Ausstieg aus der Kohleverbrennung in Tiefstack bis 2025 sei technisch nicht umsetzbar, sagte Senator Kerstan laut taz. Der jetzt von der Umweltbehörde geplante Ersatz des HKW Wedel bis 2025 mit einer sehr teuren Elbtrasse dürfte im Übrigen so hohe Kosten verursachen, dass auf billige Kohlewärme in Wedel wie in Tiefstack nur schwer verzichtet werden wird.
Forderung 2: Keine weitere Auskopplung von Fernwärme aus dem Kohle-Heizkraftwerk Moorburg durch Verweigerung der Verlegung von neuen Wärmenetzen. Folglich keine zusätzliche Kohleverbrennung im Heizkraftwerk Moorburg zur Fernwärmeerzeugung.
Ergebnis 2: Mit einem neuen § 2 Absatz 2a im Hamburger Klimaschutzgesetz wird ausdrücklich gestattet, dass Industriestandorte über eigene Fernwärmetrassen mit Kohlewärme aus Moorburg versorgt werden dürfen (zweiter Satz in diesem neuen Absatz). Bisher konnte sich Vattenfall nicht sicher sein, ob Hamburg dagegen einschreiten würde.
Als die VI am 22. Februar 2018 an den Start ging, fragte das Hamburger Abendblatt: „Tschüss Kohle“ – das Aus für Kraftwerk Moorburg?
„Tschüss Kohle“ wollte eine Änderung des Wegegesetzes mit dem Ziel, dass die Stadt keine öffentlichen Flächen mehr für den Bau von Leitungen zur Verfügung stellen sollte, sofern durch diese Rohre auch Wärme aus Kohleverbrennung fließen würde. Die rot-grüne Koalition entschied sich jetzt sogar für eine Art von „Angebot“ an Vattenfall, aus dem Steinkohle-HKW Moorburg mehr Fernwärme an Industriebtriebe zu verkaufen.
Forderung 3: Ausstieg aus der Kohle in Moorburg möglichst bis zum 31.12.2030
Ergebnis 3: Der Senat soll gemäß einer Erweiterung in § 1 des Hamburger Klimaschutzgesetzes (HmbKliSchG) darauf „hinwirken“. Welche Handlungsmöglichkeiten er dafür hat, ist nicht erkennbar.
Es scheint fast, als hätten die rot-grünen Regierungsfraktionen die Volksinitiative dafür genutzt, nur das in Gesetzesform zu gießen, worauf sie sich ohnehin einigen konnten.
Darüber hinaus hat das Abendblatt recht mit der Feststellung: „Das Ganze zeigt, wie wenig belastbar die Planungen aus der Umweltbehörde bisher gewesen sind. Da vor der Abschaltung von Wedel noch eine womöglich beklagte Leitung unter der Elbe gebaut werden muss, bleibt die Zeitplanung weiterhin unsicher.“
♦ Weshalb gaben sich die VerhandlerInnen von „Tschüss Kohle“ mit diesem Ergebnis zufrieden?
Wiebke Hansen, eine der Verhandlungsführerinnen der VI „Tschüss Kohle“: Man habe das beste Kohle-Ausstiegsgesetz Deutschlands erkämpft.
In dem vor kurzem von Dr. Roda Verheyen im Auftrag von Greenpeace und ClientEarth vorgelegten Gesetzentwurf zum deutschen Kohleausstieg sind jedoch als Stilllegungs-Zeitpunkte für die beiden Blöcke des Steinkohle-HKW Wedel der 31.12.2024 und für das Steinkohle-Kraftwerk Tiefstack der 31.12.2026 vorgesehen. Dass es „aus technischen Gründen“ vier Jahre länger dauern muss, bis auch in Tiefstack die Kohleverbrennung eingestellt wird, leuchtet nicht ein.
Ein zusätzlich zur Gesetzesänderung vorgesehenes „Beteiligungsgremium Tiefstack“ wird von der Trägerorganisationen der Volksinitiative sehr unterschiedlich beurteilt. Es soll den Kohleausstieg in Tiefstack begleiten. Maximal 10 ExpertInnen werden vom Umweltsenator ernannt, im Einvernehmen mit den Vertrauensleuten der Volksinitiative „Tschüss Kohle“ und mit dem Umweltausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. ExpertInnen, die der VI nahestehen, könnten in diesem Gremium für eine schnellere Planung des Kohleausstiegs und für den Einsatz klimaschonenderer Fernwärme bis zum Ausstieg eintreten.
Allerdings tagt dieses Beteiligungsgremium im Gegensatz zum Energienetzbeirat nicht öffentlich. Die Beteiligung dieses Gremiums jeweils „vor abschließenden Entscheidungen“ wird im „Konzept für den Beteiligungsprozess“ stark beschnitten. Gleich dreimal wird einschränkend festgestellt: „soweit Vertraulichkeitsinteressen der beteiligten Unternehmen nicht beeinträchtigt werden“. Von der Arbeit des Energienetzbeirat her ist bekannt, wie sehr eine echte demokratische Kontrolle durch „Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse“ behindert werden kann. Wohlgemerkt, es handelt sich um Geheimnisse von vollständig kommunalen Energieversorgungs-Unternehmen, für die der Netze-Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ mit seiner Forderung nach „demokratischer Kontrolle“ gilt.
Leider ist zu befürchten, dass diese Vertraulichkeitsschranke die erhofften Einflussmöglichkeiten stark begrenzt. Wenn die Vertrauensleute „Vertraulichkeitsleute“ für dieses „Beteiligungsgremium Tiefstack“ ernennen, die sich zu Geheimnisträgern entwickeln, kann das bei den Umweltinitiativen, die die Volksinitiative unterstützt haben, Misstrauen und Spaltungstendenzen fördern.
Im Energienetzbeirat hat sich bereits gezeigt, dass in diesem eine Kontrolle in Detailfragen der Weiterentwicklung des Energiestandorts Tiefstack nicht mehr zugelassen werden soll.
♦ Wie verlässlich und dauerhaft sind die gesetzlich fixierten Zusagen von Rot-Grün zum Kohleausstieg in Hamburg?
Die jetzt in das Hamburger Klimaschutzgesetz eingefügten Bestimmungen könnten schon nach der nächsten Bürgerschaftswahl im Februar 2020 durch eine andere Regierungsmehrheit wieder verändert werden, wenn die Grünen dem nächsten Senat nicht mehr angehören sollten.
♦ Politiker zum Ergebnis der Volksinitiatve „Tschüss Kohle“:
- „Für uns Grüne ist dies ein hervorragendes Ergebnis, denn der Klimaschutz verträgt kein weiteres Zaudern“, so eine Erklärung von Anjes Tjarks, dem Vorsitzenden der grünen Bürgerschaftsfraktion.
- „Mit dem vorgelegten Konzept wird die Fernwärme trotz aller Anpassungen bezahlbar bleiben. Gleichzeitig werden wir die Wettbewerbsfähigkeit wichtiger energieintensiver Industrieunternehmen erhalten.“ Damit bezog sich Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion, wohl auf die Erlaubnis zur Belieferung von weiteren Industriebetrieben mit Kohlewärme aus Moorburg.
- „Wenn der Kohleausstieg angeblich selbst im reichen Hamburg nicht bis 2025 möglich ist, wo Erzeugung und Netz der Stadt gehören, wo soll dann überhaupt noch das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten werden?“, so fragte der umweltpolitische Sprecher der LINKEN in der Bürgerschaft, Stephan Jersch.