Der Vorsitzende des Ausschusses Umwelt und Energie, Klimaschutz, Agrarwirtschaft der Hamburger Bürgerschaft, Stephan Gamm (CDU), interessierte sich am 18.12.2020 in einer Schriftlichen Kleine Anfrage (22/2549) namens „Kohlekraftwerk Wedel – Eine unendliche und traurige Geschichte. Setzt Rot-Grün nur noch auf teure Placebos statt seriöser Energiepolitik?“ unter anderem für den Umfang der Stromproduktion im alten Heizkraftwerk Wedel, das bekannt dafür ist, dass es am laufenden Band die Anwohnerinnen und Anwohner mit ätzenden Partikeln bespuckt.
Wie viel Strom hat das Kraftwerk Wedel in den Jahren 2015 bis 2020 bereitgestellt? Das wollte er wissen. Und höflich wie immer fügte er hinzu „Bitte nach Jahren getrennt angeben.“
Es ist nicht bekannt, ob er damit gerechnet hat oder ob er mit einem gewissen Erstaunen die Antwort des Hamburger Senats las: „Diese Daten fallen unter das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der WH.“
Da Herr Gamm ein Energiefachmann ist, war ihm natürlich klar, dass jedermann, auch Zeitgenoss*innen mit geringem einschlägigem Expertenwissen, die jährliche Stromerzeugung des Heizkraftwerks Wedel auf den Energy-Charts von Fraunhofer ISE ohne Mühe nachsehen kann.
Nicht nur als Graphik, sondern auch auf drei Ziffern genau sind diese Angaben dort leicht zu finden:
Ja, da zeigt sich rechts: Entgegen dem allgemeinen Trend bei Kohlekraftwerken war die Stromerzeugung in Wedel im Jahr 2020 mit 809 GWh wieder höher als im Jahr 2019 mit 771 GWh.
Und das trotz des bisher milden „Winters“ Ende 2020 und bemerkenswerterweise, nachdem die Umweltbehörde am 26. Oktober 2020 voller Stolz eine Reduzierung der Kohleverbrennung in Wedel angekündigt hatte, einen „Meilenstein für den Klimaschutz“.
Zugegeben, seit dem 26. Oktober kann natürlich schon viel weniger Strom erzeugt worden sein, was sich im Jahreswert vielleicht nicht so deutlich niederschlägt. Jedoch: die täglichen Werte zeigen, dass das HKW Wedel im November und Dezember erst richtig losgelegt hat:
Aber zurück zu Herrn Gamm. Natürlich kennt er als Vorsitzender des Umweltausschusses die Energy-Charts von Fraunhofer ISE und die hier gezeigten Daten.
Es muss ihm also – so ist zu vermuten – darum gegangen sein, den Senat vorzuführen.
Nach dem Rückkauf des Hamburger Fernwärmnetzes, gegen den Herr Gamm immer zuverlässig eingetreten ist, könnte er die Absicht haben zu zeigen, dass die höhere Transparenz, die die Unterstützer*innen des Rückkaufs erhofften, keineswegs eingetreten ist. Eine „demokratische Kontrolle“, wie sie der zweite Satz des Volksentscheids von 2013 fordert, setzt natürlich voraus, dass so einfache Angaben wie die jährliche Stromerzeugung der Heizkraftwerke nicht geheim gehalten werden – zumal wenn sie ja jederzeit öffentlich zugänglich sind.
Es wird also vielleicht nicht lange dauern, bis Herr Gamm triumphierend eine Kleine oder Große Anfrage der Bürgerschaft hervorziehen wird aus der Zeit, wo Vattenfall noch Besitzer des Hamburger Fernwärmenetzes war, in der Angaben zur Stromerzeugung großzügig öffentlich bekannt gemacht wurden.
Fragt sich nur, warum der Senat sich von Herrn Gamm vorführen ließ.
Diese Frage ist gegenwärtig noch schwer zu beantworten. Am ehesten könnte eine Antwort mit der versprochenen Reduzierung der Kohleverbrennung in Wedel zusammenhängen. Vielleicht ist diese Reduzierung doch nur ein Sowieso-Effekt, wie der Hamburger Energietisch bereits am 30. Oktober vermutete?