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Kostenexplosion bei der Südtrasse
Am 10. Dezember 2021 meldete die Hamburger Umweltbehörde BUKEA voll Stolz und Genugtuung: „Planfeststellungsbeschluss für Fernwärmeleitung rechtskräftig. Bau der Südtrasse von Dradenau bis Bahrenfeld kann beginnen.“
Von den Beschlüssen des Aufsichtsrats der Wärme Hamburg GmbH am vorhergehenden Tag meldete sie nichts. Erst durch eine Schriftliche Kleine Anfrage des Bürgerschafts-Abgeordneten Stephan Jersch (DIE LINKE) an den Hamburger Senat wurde bekannt, wie schockierend hoch die Kosten sein werden, die für den Bau dieser Südtrasse aufzubringen sein werden (Drs. 22/6697).
Im Vergleich zu den Angaben es Senats vor etwa zwei Jahren sind die Trassenkosten auf fast das Dreifache gestiegen. In der Drucksache 21/18494 vom 4. Oktober 2019 wurden noch 100 Millionen Euro als Herstellungskosten für die Trasse angegeben. Am 9. Dezember 2021 hat der Aufsichtsrat der Wärme Hamburg GmbH 280 Millionen Euro für die „Südleitung“ freigegeben (Bild 1). Das wird wahrscheinlich noch nicht das Ende dieser unglaublichen Kostenexplosion für ein fragwürdiges Vorhaben sein.
Wären die Kosten zwischen Oktober 2019 und Dezember 2021 kontinuierlich linear gestiegen, so wären Woche für Woche 3,3 Millionen Euro hinzugekommen.
Der Kostenschock kommt für die Südtrasse keineswegs unerwartet. Schon am 18. April 2019 hatte eine Arbeitsgruppe des Hamburger Energienetzbeirats klar und deutlich vor dem drohenden Kostenanstieg für den Bau dieser Trasse gewarnt. Dass die Baubranche stark ausgelastet ist – besonders in Hamburg, war schon damals ein offenes Geheimnis.
Der „Energiepark Hafen“, der südlich der Elbe gebaut werden soll, soll das Uralt-Kohle-Heizkraftwerk in Wedel ersetzen. Die „Südtrasse“ (gelb in Bild 2) dient nur dem Transport der Fernwärme von der geplanten Erdgas-KWK-Anlage in Dradenau zur bestehenden Fernwärmeleitung in Hamburg Bahrenfeld (blau in Bild 2). Durch 280 Millionen Euro für den Bau dieser Südtrasse wird keine Kilowattstunde Fernwärme erzeugt werden.
Der gigantische Preis könnte nur durch große Vorteile des „Energieparks Hafen“ in Dradenau gegenüber einem „Energiepark Stellinger Moor“ gerechtfertigt werden (Bild 3). Diese im Hamburger Energienetzbeirat ausführlich analysierte Alternative, die neben dem Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE) hätte gebaut werden können, hätte keine Elbquerung benötigt. Für die Anbindung an das bestehende Fernwärmenetz zusammen mit der des ZRE wären nur einige Millionen Euro notwendig gewesen. Mit einer Viertel-Milliarde, die jetzt in Tunnelbauwerke gesteckt werden soll, hätte sich wesentlich mehr klimaneutrale Fernwärme realisieren lassen als mit dem Konzept der Umweltbehörde BUKEA.
Starke Kostenerhöhungen auch bei den Fernwärme-Erzeugungsanlagen
Am 18. Oktober 2018 waren für die KWK-Anlage ohne Wärmespeicher und PtH-Anlage noch 150 Millionen Euro angegeben worden (siehe Kasten). Am 24. Oktober 2019 hatte der Geschäftsführer Dr. Beckereit 322 Millionen Euro für die „Vorzugsvariante G1*“ genannt.
Dialog zwischen Umwelt-Staatsrat Pollmann und dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Dr. Petersen, im Haushaltsausschuss am 18. Oktober 2018 laut Ausschuss-Drucksache 21/50: Staatsrat Pollmann: Das sind, Herr Vorsitzender, für die vorgesehene Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, das Gaskraftwerk auf der Dradenau 150 Millionen Euro, die Wärmepumpe bei 27 Millionen Euro, der Aquiferspeicher etwa 27 Millionen Euro. Und von diesen 430 Millionen Euro ist der Großteil für die Umrüstung Tiefstack anzusetzen, 230 Millionen Euro. Das gibt dann zusammen die etwas über 430 Millionen Euro. Abg. Dr. Mathias Petersen: Und für 150 Millionen Euro, kriegt man da ein neues Kraftwerk auf der Dradenau? Staatsrat Pollmann: Ja. Abg. Dr. Mathias Petersen: Wow. Gut. Und die 120 Millionen Euro für die Wärmeleitung, das ist dann nur die Wärmeleitung Richtung Altona oder weitere andere noch? Staatsrat Pollmann: Das sind die beiden Wärmeleitungen zum einen zum Anschluss des ZRE an das Wärmenetz. Da sind ja ein paar Kilometer nördlich der Elbe erforderlich und die Elbquerung. |
Immer wieder wurden die hohen Kosten für den Trassenbau und für die Errichtung des „Energieparks Hafen“ in Dradenau vor allem mit der zu erschließenden Abwärme von Industrieanlagen südlich der Elbe gerechtfertigt („Industrielle Abwärme“ in Bild 3). Nachdem vom technischen Geschäftsführer der Wärme Hamburg bereits jahrelang verhandelt wurde und von zahlreichen weiteren Abwärmequellen die Rede war, ist die Bilanz in der Antwort des Senats auf die Anfrage von Jersch auch in dieser Hinsicht ernüchternd: „Die Anbindung von Abwärme aus Industriebetrieben befindet sich in der Planungsphase. Geplant ist die Einbindung nach Inbetriebnahme der KWK-Anlage“ so der Senat an Jersch. Die Verhandlungen mit Trimet Aluminium und mit ArcelorMittal laufen seit Jahren und noch immer „sind Aussagen zu Kosten nicht möglich“. Auch hier müssen relativ lange Anbindungstrassen finanziert und gebaut werden.
Erfolge bei der versprochenen Erschließung weiterer Quellen industrieller Abwärme sucht man vergebens. Der Senat verweist Jersch in seiner Not auf eine neue Vereinbarung zur Wärmeauskopplung der Aurubis AG. Aurubis liegt zehn Kilometer von Dradenau entfernt in Hamburg Veddel und hat mit der Anlage in Dradenau gar nichts zu tun.
Verbrennung von grünem Wasserstoff anstelle von fossilem Erdgas?
Eine weitere Enttäuschung bei der in Dradenau geplanten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage: Da in diesem Heizkraftwerk Erdgas verbrannt werden soll, wurde von der Umweltbehörde fleißig betont, die Anlage werde „H2-ready“ gebaut, sie könne also (grünen) Wasserstoff anstelle von Erdgas verbrennen, sobald genug davon verfügbar sein werde.
„H2-ready“ bedeutet hier allerdings fast nur Grünwäscherei. Jersch wurde jetzt informiert, dass bis zu 30 Prozent Wasserstoff dem Erdgas beigemischt werden könnten. Dieser Beimischungsgrad bezieht sich jedoch auf den Volumenanteil des Wasserstoffs. Der zugehörige energetische Anteil des Wasserstoffs beträgt nur 11 Prozent und nur dieser Anteil ist ausschlaggebend für eine Reduzierung der CO2-Emissionen.
Außerdem wurde vom Senat mitgeteilt, dass ein Anschluss der KWK-Anlage an das zukünftige Wasserstoffnetz HH-WIN, das in den nächsten Jahren von der Gasnetz Hamburg GmbH im Hamburger Hafen gebaut werden soll, „aktuell noch nicht geplant“ sei.
Die Hersteller von Gasturbinen erwarten, dass ihr 100 %-Entwicklungsziel spätestens 2030 erreicht wird, so der Senat. Ein Umbau der Gasturbinen wird dann mit weiteren Kosten verbunden sein, die „derzeit nicht bezifferbar“ sind. Es geht, abgesehen von Gasleitungen mit größeren Querschnitten als sie für Erdgas benötigt werden, um einen Austausch der Brennkammern der Turbinen und um neue Turbinenschaufeln. Zu einer klimaneutralen Fernwärme ist also noch ein weiter Weg zurückzulegen, auch bei den Kosten.
Verweigerung eines ergebnisoffenen Vergleichs zur Trassenfrage
Vor dem Rückkauf des Fernwärmeunternehmens durch Hamburg musste der grüne Umweltsenator Kerstan mit dem Mehrheitseigner Vattenfall über eine Ersatzlösung für das marode Steinkohle-Heizkraftwerk Wedel verhandeln. Vattenfall drängte auf eine Fernwärmetrasse zu seinem monströsen Kohle-Heizkraftwerk Moorburg südlich der Elbe. Umfangreiche Auskoppelung von Kohle-Fernwärme sollten dieses defizitäre Kraftwerk wirtschaftlich tragfähig machen. Besonders die Parteien CDU und FDP unterstützten Vattenfall bei dieser Absicht. Inzwischen ist das Kraftwerk Moorburg stillgelegt. Die von Vattenfall geforderte elbunterquerende Fernwärmetrasse aber blieb.
Nach dem Beschluss Hamburgs über den Rückkauf des Fernwärmeunternehmens hätte die Chance bestanden, den Sinn dieser nun „überflüssigen“ Trasse zu hinterfragen. Den Forderungen in der Bürgerschaft und im Energienetzbeirat nach einem ergebnisoffenen Vergleich zwischen einem Ersatz des Heizkraftwerks Wedel durch
- eine Nordvariante im Stellinger Moor ohne Elbtrasse und
- einer Südvariante in Dradenau mit Elbtrasse
hat sich Senator Kerstan immer wieder verweigert.
Zur Vorbereitung des Planfeststellungsverfahrens für die „Südtrasse“ (FWS-West) versuchte die Wärme Hamburg GmbH zu belegen, dass ein ergebnisoffener Vergleich stattgefunden habe und auf dieser Basis die Entscheidung für Dradenau gefallen sei. Die Aussagen in der Planrechtfertigung von Wärme Hamburg sind in vielen Punkten falsch.
Die abschreckend hohen Kosten für die „Südvariante“, die jetzt sichtbar werden, sind mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 der Hamburgischen Landeshaushaltsordnung (LHO) nicht vereinbar. Der Hamburger Energietisch hat das vorhergesagt.
Die Bedeutung von hohen Schulden der Wärme Hamburg GmbH
für den Klimaschutz
Mit dem Bau des Energieparks Hafen samt Anbindung durch die „Südleitung“ werden dem städtischen Fernwärmeunternehmen von Senat und Bürgerschaft unter der besonderen Verantwortung von Senator Kerstan hohe Schulden aufgebürdet, die in einigen Jahren zu stark steigenden Fernwärmepreisen führen dürften. Diese werden das für die Umsetzung der städtischen Klimaziele notwendige starke Wachstum der Anschlusszahlen an das Wärmenetz empfindlich abbremsen, sobald die gegenwärtige Hochpreisphase von Erdgas und Kohle abgeklungen sein wird.
Das Unternehmen Wärme Hamburg benötigt genug Spielraum, um nach dem Ausstieg aus der Verbrennung von Steinkohle die Anteile an wirklich erneuerbarer Fernwärme rasch und nachhaltig erhöhen zu können und die Verbrennung von Erdgas zurückdrängen zu können. Wenn die Bürgerschaft und der Senat das Unternehmen nun mit hohen Schulden überhäufen, kann es seinen Aufgaben zur Begrenzung der Klimakrise nicht gerecht werden. Nachdem Hamburg sich dazu bekannt hat, wie auf Bundesebene bis 2030 die Treibhausgase um 65 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, führt an einer „Entschuldung“ der Wärme Hamburg GmbH bzw. des fusionierten Unternehmens Hamburger Energiewerke GmbH (HEnW) kein Weg mehr vorbei.
- Dezember 2021