Die Fraktion der LINKEN in der Hamburger Bürgerschaft beantragte am 23. Oktober 2019, das Kohleheizkraftwerk Wedel und den mit Steinkohle betriebenen Block in Tiefstack ab sofort außerhalb der für die Wärmeerzeugung notwendigen Heizperiode außer Betrieb zu nehmen (Drucksache 21/18777). Dieser Antrag wurde am 6. November 2019 in der Hamburger Bürgerschaft diskutiert.
Außerhalb der Heizperiode wird die für das Hamburger
Fernwärmesystem notwendige Wärmemenge allein durch die Müllverbrennungsanlage
Borsigstraße bereitgestellt. Die Kohle-Kraftwerke in Wedel und Tiefstack werden
dafür nicht gebraucht. Auch nicht die Erdgas-Heizwerke und -Heizkraftwerke, die
zum Fernwärmesystem gehören.
Dennoch verbrennen – abgesehen von einer etwa vierwöchigen Revisionspause – diese Kohlekraftwerke auch im Sommer fleißig Steinkohle, um den in Tiefstack und in Wedel mit einem schlechten Wirkungsgrad von nur 32 % (!) gewonnenen Strom zu vermarkten . Das folgende Bild zeigt die tägliche Stromerzeugung im Jahr 2018, aufgeschlüsselt nach Kohlekraftwerken in Hamburg.
Tägliche Stromerzeugung der Kohleblöcke Tiefstack 2 (hellgrün), Wedel 1 (hellblau) und Wedel 2 (dunkelblau) im Jahr 2018 (mit Daten von Fraunhofer ISE)
Der Rat der Stadt Wedel hatte schon am 1. Juli 2017 einstimmig beschlossen: „Der Rat der Stadt Wedel fordert die Freie und Hansestadt Hamburg dazu auf, das Heizkraftwerk Wedel nur noch in der Heizperiode zu nutzen und nicht – so wie aktuell – ganzjährig zur Stromerzeugung.“
Der Umweltverband BUND Hamburg gab am 11. und am 12. November 2019 bekannt: Entsprechend einem nicht im Hamburger Senat abgestimmten „Geheimpapier“ zwischen Bürgermeister Tschentscher und dem Vorstandsvorsitzenden des Industrieverbands Hamburg (IVH) Boxberger soll die Industrie einseitig bevorzugt und die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungen eingeschränkt werden.
So wolle der Bürgermeister auf die politische Entscheidungshoheit bei Konflikten zwischen der Industrie und schutzbedürftigen Nutzungen verzichten und auf Bundesebene auf die Einschränkung des Verbandsklagerechts und öffentlicher Beteiligungsmöglichkeiten hinwirken.
Auf der Pressekonferenz am 12. November 2019 sagte der BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch „Unser Eindruck ist, dass der Bürgermeister dem jahrelangen Druck auf Deregulierung und Einschränkung von Verbandsklagerechten und Öffentlichkeitsbeteiligung jetzt nachgegeben hat … und dass er auch jetzt noch kurz vor den Wahlen … Geschenke Richtung Wirtschaft macht.“
Braasch: „Diese inakzeptable und einseitige Begünstigung des Lobbyverbandes der Hamburger Industrie durch den Ersten Bürgermeister muss umgehend zurückgenommen werden. Wenn dieses Papier umgesetzt wird, diktiert die Industrielobby dem Senat für sie günstige gesetzliche Regelungen in die Feder, erhält erleichterten Zugriff auf Gewerbeflächen und braucht sich vor einer gerichtlichen Überprüfung zweifelhafter Planungen nicht mehr zu fürchten. Damit outet sich der Sozialdemokrat Tschentscher als Feind von Transparenz und Bürgerbeteiligung“
Bürgermeister Tschentschererklärte dazu, “ dass wir sehr viel aktiver die Belange der Industrie mit einbeziehen wollen in all das, was wir als Stadt tun.“
„Das ist ein Bündnis mit der Industrie für die Industrie, aber kein Bündnis mit der Industrie für das Klima und stellt somit die Glaubwürdigkeit des Bürgermeisters beim Klimaschutz in Frage“, erklären die Grünen laut WELT vom 12.11.2019. Ein grünes Industriebündnis würde anders aussehen, auch weil die Vereinbarung zwischen Senat und Industrie kaum konkrete Maßnahmen zur Senkung des CO-Ausstoßes enthalte. Dennoch, so heißt es von den Grünen weiter, hätten sie „Schlimmeres verhindert“.
Das Handelsblatt meldete am 16.11.19, die CDU wolle auf ihrem Bundesparteitag am 22. und 23. November in Leipzig das Klagerecht von Umweltverbänden einschränken, um schnelleres Planen und Bauen von Infrastrukturprojekten zu ermöglichen.
Im Mai 2018 zitierte das Hamburger Abendblatt den Vorstandsvorsitzenden des Industrieverbands Hamburg (IVH), Matthias Boxberger: „Angesichts wichtiger Infrastrukturprojekte für Verkehr und Energie ist es notwendig, das Verbandsklagerecht zu reformieren.“ Stein des Anstoßes: Die damals noch nicht ganz durchgesetzte neunte Elbvertiefung. ► Johannes Kahrs (SPD): „Wir müssen das Verbandsklagerecht im Umweltbereich auf seine Sinnhaftigkeit überprüfen.“ „Naturschutz ist eine gute Sache, aber wie mit allen guten Dingen sollte man es damit auch nicht übertreiben.“ ► Auch der Wirtschaftsrat der CDU forderte eine Beschränkung der Verbandsklage. ► Der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz:. „Heute ist es eine Libelle, morgen ein Marienkäfer mit dreieinhalb Punkten. Wir fordern endlich die Gesetze zu ändern.“
Der langjährige Vorgänger von Boxberger als Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IHV) war Michael Westhagemann, der von Tschentscher Ende Oktober 2018 als Hamburger Wirtschaftssenator vorgeschlagen wurde.
Im Jahr 2013, während des laufenden Volksentscheids über den Rückkauf der Hamburger Energienetze von Vattenfall, war Westhagemann Sprecher für das Aktionsbündnis „Nein zum Netzkauf“, bestehend aus 15 Kammern, Verbänden, Parteien und Vereinen, welche gegen die Rekommunalisierung der Energienetze Stimmung machten. Im Jahr des Volksentscheids sah er die Kosten einer 100-prozentigen Übernahme der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrem Nutzen.
Boxberger (IVH) und Bürgermeister Tschentscher (Bild: Senatskanzlei HH)
„Mit Sicherheit das komplizierteste und ehrgeizigste Energiewende-Projekt unseres Landes“, so schwärmte der Hamburger Umweltsenator Kerstan von der so genannten Südvariante mit dem „Energiepark Hafen“. Durch dieses von seiner Behörde für Umwelt und Energie (BUE) vorangetriebene Fernwärme-Projekt soll das alte Heizkraftwerk Wedel ersetzt werden. Schon mindestens 15 Jahre ziehen sich die Auseinandersetzungen um den Ersatz dieses Steinkohle-Heizkraftwerks hin. Verständlich ist daher, dass selbst langjährige umweltpolitische Sprecherinnen der Hamburger Bürgerschaft wie Dr. Monika Schaal (SPD) nicht mehr die gesamte Entwicklung überblicken, sich falsch erinnern und wichtige Zusammenhänge nicht mehr verstehen.
Das ist zu erkennen an ihren Antworten auf Fragen der Bürgerinitiative „Keine Elbtrasse!“ aus Anlass einer Veranstaltung am 1. November 2019 in der Aula der Volkshochschule West. Diese Volkshochschule in der Waitzstraße 31 soll ab Mitte 2021, nach dem Beginn des Baus einer etwa 200 Mio. € teuren Fernwärmetrasse von Bahrenfeld in den Hamburger Hafen, für etwa zwei Jahre fast vollständig von ihrer Umgebung abgeschnitten werden. In den Straßen, durch die die Trasse laufen soll, und in einmündenden Einbahnstraßen wird es über Monate Vollsperrungen geben. Kein Wunder, dass sich die Betroffenen in den Stadtteilen Othmarschen, Groß Flottbek und Bahrenfeld darüber empören, dass eine unsinnige Trasse durch ihre Stadtteile gebaut werden soll, obwohl es am Energiestandort Stellinger Moor eine bessere Alternative für den Ersatz des Kraftwerks in Wedel gibt – ohne zusätzliche Fernwärmetrassen und ohne den Verlust von Straßenbäumen.
Umweltpolitische Sprecherin der SPD Dr. Monika Schaal (Bild: HH Bürgerschaft)
Eine Analyse von Antworten von Frau Dr. Schaal (SPD)
Am 1. November 2019 waren fünf umweltpolitische SprecherInnen der Hamburger Bürgerschaft in der Aula der Volkshochschule West zu Gast bei der Bürgerinitiative „Keine Elbtrasse!“. Die Bürgerinitiative hatte die Abgeordneten um Antworten auf 12 Fragen gebeten.
Ulrike Sparr, umweltpolitische Sprecherin der Grünen (Bild: Bürgerschaft)
Besonders bemerkenswert sind die Antworten der umweltpolitischen Sprecherin der Grünen, Ulrike Sparr. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der grünen Partei unter allen Parteien noch immer mit Abstand die höchste Kompetenz bei Fragen des Klima- und Umweltschutzes zugeordnet wird.
Um ein Fazit aus den Antworten von Frau Sparr vorwegzunehmen: Vielleicht kommt es nicht von ungefähr, dass das Vertrauen in die Klimaschutz-Kompetenz der Grünen in den letzten 10 Jahren um 17 % gesunken ist. Das ist sehr bedenklich: Denn zur Verhinderung der fortschreitenden Erderhitzung kann auf vertrauenswürdige grüne Parteien nicht verzichtet werden.
Entsprechend dem Namen der Bürgerinitiative ging es bei den Fragen an die Abgeordneten natürlich darum, ob für den Ersatz des Heizkraftwerks Wedel eine Elbtrasse gebaut werden soll, wie es die Hamburger Grünen wollen (Südvariante mit dem „Energiepark Hafen“), oder ob diese insgesamt rund 200 Mio. € teure Trasse überflüssig ist, weil das Heizkraftwerk Wedel auch am Energiestandort Stellinger Moor ersetzt werden kann (Nordvariante im Stellinger Moor).
Im Vergleich zum neuen Küstenkraftwerk Kiel sind die von Umweltsenator Kerstanfür den geplanten Energiepark Hafen angekündigten Kosten völlig unangemessen.
Bekanntlich sollte das neue große Gasmotoren-Heizkraftwerk, das die Versorgung mit Fernwärme in Kiel übernehmen soll, schon 2018 in Betrieb gehen. Dann gab es wie schon einige Male zuvor erneut eine unangenehme Überraschung.
„Der Kühler muss wieder runter.“ „Die gesamte Kühlanlage auf dem Dach des Küstenkraftwerks in Kiel muss wieder abgebaut werden.“
Gegenwärtig laufen in Kiel mit einer Übergangslösung die letzte Tests.
Es ist sehr zu hoffen, dass der Probebetrieb jetzt klappt.
Küstenkraftwerk Kiel. Bild: Stadtwerke Kiel
Was geht uns in Hamburg das an?
Einiges!
Es zeigt zum einen, dass bei großen Kraftwerksprojekten eigentlich immer auch mit großen Überraschungen und großen Verzögerungen zu rechnen ist. Senator Kerstan mit seinem Spruch „Wir liegen voll im Plan!“ wird das noch erleben und er weiß es wahrscheinlich auch.
Noch wichtiger: Das Gasmotoren-Heizkraftwerk in Kiel kostet einschließlich Speicher 290 Mio. Euro und zwar bei 840 Gigawattstunden (GWh) Fernwärme pro Jahr.
In Hamburg werden beim Ersatz des HKW Wedel für 950 GWh pro Jahr aus dem Energiepark Hafen schon jetzt Investitionskosten in Höhe von 750 Mio. Euro angesetzt (Folien 19 und 15 des Geschäftsführers von Wärme Hamburg, Dr. Beckereit am 24.10.2019).
Ein enormer Kostenunterschied!
Lässt sich dieser große Kostenunterschied damit erklären, dass in Kiel ausschließlich Erdgas verfeuert wird und in Hamburg auch klimaneutrale und erneuerbare Wärme genutzt werden soll?
Nein. Denn bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass der Anteil an klimaneutraler Wärme aus dem Energiepark Hafen recht bescheiden ist.
Von den angeblich 55 % klimaneutraler Wärme im Wedelersatz würde fast die Hälfte gar nicht vom „Energiepark Hafen“, sondern vom Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE) im Stellinger Moor nördlich der Elbe bereitgestellt. Südlich der Elbe wären nach Berechnungen der Arbeitsgruppe „Ersatz des HKW Wedel“ des Energienetzbeirats weniger als 20 % der Ersatzwärme für das HKW Wedel klimaneutral.
Die angesetzten 750 Mio. Euro für den „Energiepark Hafen“ sind daher völlig unangemessen, auch wenn es „mit Sicherheit“ um das „komplizierteste und ehrgeizigste Energiewende-Projekt unseres Landes“ geht (Kerstan).
Allein schon für die geplante Elbtrasse sind mit allen Zubringertrassen und mit Betriebs- und Wartungskosten rund 200 Mio. Euro zu veranschlagen. Für den Klimaschutz bringen diese Millionen nichts. Sie könnten besser für erneuerbare Wärme eingesetzt werden.