Der Hamburger Energietisch

Für die Energiewende in Hamburg

Zehn Jahre nach dem Energienetze-Volksentscheid in Hamburg

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Am 22.9.2013 entschieden die Hamburgerinnen und Hamburger in einem Volksentscheid:

„Bürgerschaft und Senat unternehmen fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“

Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft, denn „Ein Volksentscheid über eine andere Vorlage bindet Bürgerschaft und Senat“ (§50, 4a der Hamburger Verfassung).

  1. Warum waren wir beim Volksentscheid erfolgreich?

Die energiepolitischen Auseinandersetzungen vorher waren zweifellos hilfreich, z. B. eine große Anti-AKW Aktion in und um Hamburg wenige Wochen vor der Abstimmung über den Volksentscheid mit zehntausenden Demonstrierenden. Wichtiger noch:

  • Der Trägerkreis der Volksinitiative von zu Beginn sechs Organisationen und Initiativen war gesellschaftlich breit aufgestellt. Neben den Umweltorganisationen und -initiativen spielten die Verbraucherzentrale und die evangelische Kirche eine wichtige Rolle. Auch deshalb unterstützten zuletzt über 50 Organisationen die Kampagne.
  • Dementsprechend gab es von Anfang an Argumentationslinien nicht nur auf der Ebene der Klima- und Energiepolitik, sondern auch auf der sozialpolitischen Ebene, die eine große Rolle spielte, aber von den Umweltorganisationen zumindest damals kaum bedient wurde. Und auch die Frage, ob der Rückkauf für die Freie und Hansestadt zu teuer oder – so unsere Argumentation – langfristig zweifellos von Vorteil wäre, wurde heiß diskutiert.
  • Die Entwicklung der Kampagne wurde in einem überschaubaren, aber durchaus heterogenen Kreis diskutiert und festgelegt. Das führte dazu, dass unser Blick nie verengt wurde, sondern wir immer verschiedene Argumentationslinien und Zielgruppen im Auge hatten.
  • Vor diesem Hintergrund gelang es, Unterstützung durch zahlreiche Organisationen und informelle Gruppen zu gewinnen, die auch bereit und in der Lage waren, viele Menschen in der Stadt für die Unterschriftensammlungen, für Öffentlichkeitsarbeit und andere konkrete Aktivitäten zu mobilisieren.
  • An die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW) und die Hamburger Gaswerke (HGW) hatten die meisten Hamburgerinnen und Hamburger gute Erinnerungen. Es war gut zu vermitteln, dass nach dem Verkauf nicht mehr öffentliche Interessen, sondern die Profitinteressen von Vattenfall und E.on die Unternehmenspolitik bestimmten.
  • Der Aufwand, den Vattenfall und E.on, SPD-Senat, CDU und FDP, Handelskammer und Unternehmensverbände trieben, um die Hamburgerinnen und Hamburger von der Schädlichkeit einer Rekommunalisierung zu überzeugen, war beträchtlich. Der Höhepunkt war eine Sonderausgabe der BILD-Zeitung, die am Tag vor der Abstimmung an alle Haushalte verteilt wurde. Wenn wir trotzdem erfolgreich waren, lag das nicht zuletzt daran, dass die meisten Menschen Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen ablehnen.
  • Der Erfolg des Volksentscheids, immerhin nach einem Kampf von David gegen Goliath, hat national und international Beachtung gefunden. Wir haben nicht nur den Rückkauf der drei Energienetze, Stromnetz, Gasnetz und Fernwärmenetz, erzwungen, was schon sensationell war, sondern zugleich haben Tausende Hamburgerinnen und Hamburger die Erfahrung gemacht: Es lohnt sich, für ökologische und soziale Interessen aktiv zu werden. Unter bestimmten Bedingungen ist es möglich, gegen einen Gegner erfolgreich zu sein, der über viel mehr Geld und die Unterstützung vieler gesellschaftlicher Großorganisationen und der meisten Medien verfügt.
  • Nicht zu vergessen: Es gab nach dem 22.9.2013 umfangreiche Aktivitäten von Trägern des Volksentscheids und des Hamburger Energietischs (HET), die den Rückkauf der drei Energienetze erst abgesichert haben. Wir erinnern uns, dass der Rückkauf insbesondere beim Vattenfall-Fernwärmenetz jahrelang unsicher war. Von Vertreterinnen und Vertretern mehrerer Bürgerschaftsparteien wurde in Frage gestellt, ob ein Rückkauf des Fernwärmenetzes rechtlich zulässig sei. Diese Versuche waren letztlich nicht erfolgreich. Die Träger sowie die Unterstützerinnen und Unterstützer des Volksentscheids sorgten dafür, dass diese Bemühungen öffentlich wurden und öffentlichen Widerspruch erfuhren. Auch deshalb waren sie erfolglos. Ein zweiter großer Erfolg der Bewegung.
  1. Wie weit ist die Umsetzung des Volksentscheids?
  • Stromnetz, Gasnetz und das große Fernwärmenetz sind seit 2019 wieder im Eigentum der Stadt. Für diese Netzunternehmen wurde allerdings eine privatrechtliche Rechtsform (GmbH) gewählt, die eine demokratische Kontrolle, wie sie der Volksentscheid vorsieht, erschwert. Eine klare und verbindliche Festlegung der Unternehmen auf eine „sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“, wie sie der Volksentscheid festlegte, fand nicht statt.
  • Im Zuge der Privatisierung von HEW und HGW ging nicht nur das große Fernwärmenetz an Vattenfall, sondern drei weitere Fernwärmenetze an E.on. Der Wegenutzungsvertrag endet 2027. Die Stadt muss entscheiden, wer ab diesem Zeitpunkt über diese drei Netze verfügen soll. Der Volksentscheid legte fest, dass „die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasnetze wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen“ sind. Er beschränkte sich bei der Fernwärme nicht auf das große Vattenfall-Fernwärmenetz.

Die Träger des Volksentscheids haben sich im Fernwärmebereich seinerzeit auf das große Vattenfall-Fernwärmenetz konzentriert, weil der Wegenutzungsvertrag zeitnah zu den Konzessionsverträgen des Gas- und Stromnetzes endete. Der erste Satz des Volksentscheids beschränkt sich aber nicht auf dieses Fernwärmenetz. Der Betrieb der drei früher an E.on verkauften Fernwärmenetze ist sozial- wie klimapolitisch katastrophal. Eine Wärmeplanung für Hamburg und insbesondere deren Umsetzung, die zu einem erheblichen Teil die Fernwärme betreffen muss, ist kaum möglich, wenn die Stadt nicht über alle relevanten bestehenden Fernwärmenetze verfügt. Auch deshalb ist eine Übernahme der drei Netze durch die Stadt dringend geboten. Das dürfte auch im Interesse der Hamburger Energiewerke sein.

Die seitdem eingeleiteten Maßnahmen für eine Energiewende sind unzureichend und zum Teil kontraproduktiv: 

  • Die jahrelange Auseinandersetzung um den dringend notwendigen Ersatz für das Heizkraftwerk in Wedel endete mit dem Ergebnis, dass Anlagen im Hafengebiet südlich der Elbe gebaut werden. Dafür wird zurzeit für vermutlich mindestens 200 Millionen Euro ein Fernwärmetunnel unter der Elbe gebaut. Die durch den Tunnelbau entstehenden beträchtlichen Kohlendioxid–Emissionen (Beton, Stahl) und die Kosten wären vermeidbar gewesen, wenn die Vorschläge des Hamburger Energietischs für Anlagen im Stellinger Moor vom Senat ernsthaft geprüft worden wären. Dort hatten die Stadtreinigung Hamburg und Hamburg Wasser große nicht genutzte Flächen. Eine Arbeitsgruppe des Hamburger Energienetzbeirates hatte festgestellt, dass dieser „Nordvariante“ ökologisch wie wirtschaftlich der Vorzug zu geben wäre.
    Hinzu kommt, dass wegen des Tunnelbaus das über 50 Jahre alte Kohle-Heizkraftwerk in Wedel mehrere Jahre länger laufen muss. 
  • Die Hamburger Umweltbehörde BUKEA hat über mehrere Jahre versucht, die Akzeptanz der Öffentlichkeit für ein Projekt zu gewinnen, mit dem Buschholz aus Namibia in riesigen Mengen nach Hamburg transportiert werden sollte, um es hier in den Heizkraftwerken zu verbrennen. Da dieses offensichtlich klimaschädliche Vorhaben auf großen Widerstand stieß, musste die Umweltbehörde das Projekt fallen lassen.
  • Die Stadt hat sich verpflichtet, im Heizkraftwerk Tiefstack ab spätestens 2030 keine Kohle mehr zu verbrennen. Ein „Beteiligungsgremium“, in dem kein Umweltverband, sondern lediglich handverlesene Einzelpersonen eine öffentliche Beteiligung simulierten und das geheim tagte, legte 2022 sein Ergebnis vor, die der Aufsichtsrat im Juli 2022 zur Kenntnis nahm: Die bisher verbrannte Kohle solle durch Erdgas oder Holz ersetzt werden. Flusswasserwärmepumpen, die einen größeren Teil der Wärme bereitstellen sollen, werden erst im Laufe der 2030er Jahre zur Verfügung stehen, die größere Wärmepumpe kaum vor 2035. In den nächsten mindestens 12 Jahren werden die Emissionen also nur wenig abnehmen, denn bei der Verbrennung von Holz wird noch mehr CO2 ausgestoßen als bei der Verbrennung von Steinkohle.
  • Gasnetz Hamburg wirbt weiterhin für Gasheizungen. Um diesen den Anschein von Klimaverträglichkeit zu geben, kündigt Gasnetz Hamburg an, dem Erdgas bis zu 30% Wasserstoff beizufügen. Da Wasserstoff nur etwa ein Drittel des Energiegehaltes von Erdgas hat, würde nur 10% der Energie aus dem Wasserstoff stammen. Vor allem aber sind sich Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler darüber einig, dass Wasserstoff für lange Zeit so knapp sein wird, dass ein Einsatz für Heizzwecke keinesfalls im Sinne des Klimaschutzes ist.
  • Gasnetz Hamburg geht es offenkundig einzig und allein darum, das profitable Geschäft mit Erdgas weiter zu betreiben. Das verwendete Erdgas war schon immer klimaschädlich. Das inzwischen genutzte LNG, überwiegend gefracktes Erdgas, ist nicht weniger klimaschädlich als Steinkohle. Allein für die Verflüssigung und die Regasifizierung sind bis zu 25% des Energiegehaltes erforderlich. Der zuständige Senator weiß das natürlich, aber er schreitet nicht ein.
  • Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) behauptet, die Wärme aus der Müllverbrennung sei CO2-frei. Das soll nicht nur den biogenen Anteil betreffen, sondern auch den Anteil an Plastik usw. Die tatsächlich entstehenden Emissionen sollen einem Bereich „Abfallwirtschaft“ zugerechnet werden. Das hilft dem Klima überhaupt nicht, aber die Stadt und ihre Hamburger Energiewerke können scheinbar CO2-neutrale Wärme vorweisen. 

Und auch in anderen Bereichen setzt der Senat eine Politik um, die dem zweiten Satz des Volksentscheids widerspricht und die Klimakrise weiter anheizt. Hier nur ein besonders drastisches Beispiel: 

  • Die Stadt hat mit dem Bau einer neuen U-Bahnlinie U5 begonnen. Beim Bau der U5-Bahntunnel werden durch die Verwendung großer Mengen Beton und Stahl riesige Mengen Kohlendioxid freigesetzt. Die Verlagerung von individuellem Straßenverkehr auf die U-Bahn wird diese CO2-Emissionen erst nach über hundert Jahren ausgleichen. Hinzu kommt, dass der Bau Jahrzehnte dauern wird, während eine starke Verringerung der Emissionen durch den Verkehr noch in diesem Jahrzehnt erforderlich ist. Die Initiative „Elbtram jetzt“ hat bereits vor einigen Jahren nachgewiesen, dass eine Straßenbahn viel schneller zu bauen wäre, mehr Menschen erreichen würde und pro Kilometer nur ein Zehntel der Kosten einer U-Bahn verursachen würde. Eine Straßenbahn in Hamburg wäre ein substanzieller Beitrag Hamburgs zum Klimaschutz – die U5 ist das Gegenteil.

Alle klimapolitischen Entscheidungen des Senats sind am zweiten Satz des Volksentscheides zu messen: „Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung mit erneuerbaren Energien“ Dagegen verstößt der Senat immer wieder.

  1. Welche Aufgaben stellt der Volksentscheid für die nächste Zeit?

Aus unserer Sicht sind folgende Punkte besonders dringend:

  • Der Plan, im Heizkraftwerk Tiefstack riesige Mengen Holz als Ersatz für Steinkohle zu verbrennen, muss gestoppt werden.
  • Tricksereien wie die Behauptung, die Müllverbrennung liefere CO2-freie Wärme, müssen unterbunden werden. Sie gaukeln Klimaschutz vor, statt etwas gegen die Klimakrise zu tun.
  • Noch immer hat der Senat sich nicht dazu entschlossen, den ersten Satz des Volksentscheids vollständig umzusetzen und Vorbereitungen für den Rückkauf der drei Fernwärmenetze zu treffen, die mit den Hamburger Gaswerken an E.on verkauft wurden. Der Wegenutzungsvertrag endet 2027. Nicht nur gebietet der Volksentscheid den Rückkauf. Für eine Planung des Ausbaus der Fernwärme in Hamburg, die – den politischen Willen vorausgesetzt – zunehmend CO2-frei werden kann, ist eine Rückführung in die Öffentliche Hand eine notwendige Voraussetzung. Der Rückkauf läge auch im Interesse der Hamburger Energiewerke.
  • Für die klimapolitisch längst überfällige Verkehrswende braucht Hamburg eine moderne Straßenbahn und keine neue U-Bahn.

Die Dramatik der Klimakrise hat sich seit 2013 noch einmal deutlich verschärft. Nach dem Urteil führender Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftler wird sich in diesem Jahrzehnt entscheiden, ob Kipppunkte der Klimaentwicklung erreicht werden, welche die Entwicklung zunehmend unbeherrschbar machen. Der Hamburger Senat hat bisher nicht erkennen lassen, dass er bereit ist, dem Rechnung zu tragen. Es wird deshalb viel außerparlamentarischen Druck brauchen, damit Bürgerschaft und Senat der reichen Stadt Hamburg ihre politischen und rechtlichen Verpflichtungen ernst nehmen.

Hamburg, September 2023

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